2015
IMAGO – die begehbare Kamera
Gestaltung
Pate
Kategorie
vorgeschlagen am
21. Januar 2015
1 T
Plädoyer
Das erste »Oh« als ich das Porträt von Bazon Brock gesehen hatte. Dann die Porträts der anderen drei Großen: Rihm, Weibel, Sloterdijk im ZKM, Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe.
Jetzt, selbst in der Kamera stehend, ein neues »Oh«. Dieses Betreten der Fast-Dunkelheit. Das Staunen beim Blick über die Spiegelumkehrung des Selbst. Die Versetzung in den Betrachterblick. Eine Begegnung mit der vertrauten und der neuen Wahrheit des Eigenen, der Blick auf das unbekannte und gleichzeitig vertraute Eigene in der begehbaren Kamera.
Das alles in einer Höhle. Ahnung des ureigenen Eintretens ins Licht – wie Geburt.
Wieder ein »Oh«. Das Staunen über das Ausprobierenmögen der eigenen Körpersprache. Wie ein Spiel; ein kleiner, privater Tanz ums Ich. Das Auswählen der einen Geste unter tausend anderen Möglichen. Dann der Selbstauslöser. Das selbst entschiedene Jetzt. Eine Sekunde, die festhält; Licht loslässt.
Ein weiteres »Oh«. Lebensgroß, dieses Schattenergebnis mit Licht. Die Abbildung tatsächlich ein Original. Das Ergebnis ein einmaliges, unwiederholbares unter tausend nicht wahrgenommenen, nicht ausgewählten, nicht festgehaltenen Perspektiven auf sich selbst, durch sich selbst. Ein fixiertes, papiernes Zeugnis der entschiedenen Tat des Auslösenden, selbstverantwortet, von Dauer, da Dokument.
Ein kurzes Einsgewordensein mit sich – das wäre die zweite Geburt.
Fakten
Erfunden wurde die Technik der Direktbelichtung in Siebziger Jahren von Werner Kraus, welcher gemeinsam mit dem Künstler Erhard Hößle die begehbare Kamera baute. Werner Kraus´ Tochter Susanna Kraus war es dann, die die Kamera zu dem heute einmaligen Erlebnis machte, indem sie mit der Firma Ilford das Verfahren der Imago 1:1 entwickelte.
Größe: 7 x 4 x 3 Meter
Das Foto entsteht durch eine Direktbelichtung auf ein Positivpapier, also eine Lichtmalerei. Die Porträts, die entstehen, sind 60 x 200 cm groß und schwarz-weiß; jedes ein Unikat. Wie bei einem überdimensionalen Fotoautomat kann man sich im Innern dieser Großbildkamera mittels eines Selbstauslösers und eines seitenrichtigen Spiegels selbst porträtieren. Zehn Minuten nach dem Auslösen nimmt man das fertige Selbstporträt entgegen.
Beschreibung
2004 war ich auf der Suche nach einem Geburtstagsgeschenk für einen Jugendfreund. Ich erinnerte ich mich an gemeinsame Fotos – erstellt in den 70er Jahren in München in der Kamera meines Vaters. Nach Jahren im Archiv entrollte ich die Bilder und war sofort fasziniert von deren Wirkung. Dies war der Auslöser für die Reaktivierung der historischen IMAGO Camera.
Professor Hufnagel von der Neuen Sammlung der Pinakothek der Modernen in München hatte sie in einem Lager aufbewahrt. Er stellte sie mir mit folgenden Worten zur Verfügung: »… Wenn Du es schaffst, dass diese Maschine wieder die wunderbaren großen Portraits ausspuckt, dann bekommst Du sie zurück …«. Die Dimension dieses Satzes konnte ich damals nicht erkennen; dass es Jahre intensivster Anstrengungen kosten würde, alleine um das damals so benannte »Umkehrpapier« wieder zu beschaffen. Mit Rat und Tat standen mir der Erfinder Werner Kraus – mein Vater – und der Künstler Erhard Hößle zur Seite. Sie vermittelten mir das Wissen und die Technik der Kamera – soweit sie es selber noch wussten, denn es lagen immerhin fast 30 Jahre dazwischen. Mir war von Beginn an klar, dass der eingeschlagene Weg nicht der leichteste sein würde, vor allem in einer Zeit, wo viele schon auf die digitale Welt fokussiert waren.
Die Kamera habe ich mit meinen beiden Söhnen Jakob und Paul renoviert und wieder zusammengebaut. Professor Rehm, Leiter der Münchner Akademie der Künste, gewährte mir und meiner Riesenkamera Unterschlupf. In der alten Siebdruckwerkstatt konnte ich ein Jahr lang arbeiten. Hier restaurierten wir die Kamera. Die größte Herausforderung bestand jedoch darin, Firmen zu gewinnen, um ein in Vergessenheit geratenes fotografisches Verfahren wiederzubeleben: das Direkt-Positiv-Verfahren.
Ich erinnere mich an unzählige Telefonate mit den großen Firmen der Fotobranche. Mit meinem Anliegen – der Herstellung eines Direkt-Positiv-Papiers – wurde ich als Nicht-Fach-Frau des Öfteren belächelt und manchmal nicht ernst genommen. Einer der Standardsätze, die ich mir immer wieder anhören musste, lautete sinngemäß: »Das sind ja wirklich tolle Bilder und eine großartige Kamera, die Sie da ausgegraben haben. Aber wissen Sie was, Frau Kraus, vergessen Sie es einfach. Es ist aussichtslos, das Papier dafür bekommen Sie nie wieder.«
Unbelehrbar probierte ich weiter. Ich testete mehrere Verfahren der Direktbelichtung; immer nach dem Motto »Trial & Error«. Als ich jedoch eines Tages knöcheltief in giftigen Chemikalien stand, weil mir jemand eine kaputte Entwicklermaschine verkauft hatte, kamen leichte Zweifel auf. Aber wie die Geschichte zeigt, habe ich all diese Rückschläge verkraftet.
2006 war es dann soweit. An dieser Stelle möchte ich den Fotografen Floris Neusüß erwähnen, denn von ihm kam der entscheidende Hinweis, der endlich zum Erfolg führte.
Ilford schickte mir nach einem Jahr Wiederentwicklung eine erste Rolle Direkt-Positiv-Papier zum Testen. Auf dieser entstanden in der Münchner Akademie die ersten lebensgroßen Portraits – genau drei Wochen vor meiner ersten, schon längst angekündigten Ausstellung in Wien.
Nach 27 Jahren folgte nun also die Premiere der wieder in Betrieb genommenen IMAGO Camera. Eine erste Ausstellung zum Monat der Fotografie 2006, für die ich mich in meinem Konzept auf das Sigmund Freud Jahr 2006 bezog und Wiens Psychoanalytiker zum Selbstbild in die Kamera einlud, zeigte Kamera und Bilder in einem großen Raum im Museumsquartier Wien. Und mein erstes Spezialpapier, ein Gemeinschaftswerk von Ilford Switzerland und Fotokemika in Kroatien, hielt, was es versprach. Die Premiere verlief erfolgreich, die IMAGO Camera war wieder da, und Professor Hufnagel in München hielt sein Wort. Zwischen 2006 und 2011 wurde ich von mehreren Museen eingeladen, im deutschsprachigen Raum die Kamera und meine Arbeiten zu zeigen.
Ein wichtiges Projekt waren sicherlich die Artisten des Circus Roncalli in München. Die IMAGO Camera kehrte an den Ort ihrer Wurzeln zurück, in zahlreichen Interviews und Filmen wurde die Familiengeschichte dokumentiert und erzählt. Die Anerkennung und Akzeptanz war spürbar. Daraufhin folgte ein Jahr intensiver Arbeit im Zentrum für Kunst und Medientechnologie, im ZKM in Karlsruhe, eines der größten Museen für Medienkunst in Europa. Dessen Leiter, Peter Weibel, platzierte die IMAGO Camera im kunsthistorischen Zusammenhang als ein interaktives Kunstwerk, entstanden in der Zeit der Fluxus- und Happening-Kunst der 60er und 70er Jahre. Damit war der Weg für die IMAGO Camera geebnet.
Nach mehreren Jahren des Reisens im deutschsprachigen Raum, Ausstellungen wie unter anderem »Göttliches Spiel« im Kunsthistorischen Museum Wien, »Selbstbildnisse« im Fotomuseum Burghausen und vielen mehr gab es mehrere Stationen in Berlin, bevor die Kamera 2011 im »Aufbau Haus am Moritzplatz« einen eigens für sie konzipierten Kunstraum bezog und damit für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Dieser Kunstraum wurde zum Ort der Begegnung. Internationales Publikum entdeckt die IMAGO Camera und viele Gäste verlassen uns ganz glücklich mit ihrem Selbstportrait unter dem Arm – um die Erfahrung reicher, sich der Kunst der Selbstdarstellung im Bauch der Kamera mit nur einem Auslöser und einem seitenrichtigen Spiegel ausgestattet ausgesetzt zu haben.
Nur ein einziges Mal noch musste meine Kamera reisen. 2013 lud mich Professor Hufnagel ein, zur Eröffnung seiner temporären Kunsthalle in München ein Happening zu veranstalten. So kehrte die alte IMAGO Camera für kurze Zeit noch einmal an ihren Ursprungsort zurück.
Die Produktion des Direkt-Positiv-Papieres stellt allerdings für mich und vor allem für die beteiligten Firmen nach wie vor eine große Herausforderung dar. Die Schwierigkeit liegt darin, dass nur wenige Menschen und Firmen das Know-how für diese extrem komplexe Technologie besitzen. Ich muss zur Kenntnis nehmen, dass mein Projekt ein Alleinstellungsmerkmal mit allen Vor- und Nachteilen hat, Fluch und Segen zugleich. Ein Fluch insofern, dass einzelne Rohstoffe und Materialien nicht mehr zur Verfügung stehen und mit hohen Kosten wieder hergestellt werden müssen. Und dass die Mitarbeiter der großen Firmen, welche die Kunst dieser schwierigen Technologie beherrschten, gar nicht mehr in den Firmen arbeiten. Der Markt für analoge Fotografie wird zwar kleiner, das Interesse dafür steigt jedoch wieder. Da heißt es, neue, innovative Wege zu gehen, Überzeugungsarbeit zu leisten und den Glauben an das Projekt nicht zu verlieren. Segen insofern, dass unser spezielles Fotopapier auch von Künstlern und Fotografen verwendet wird und die Nachfrage derzeit so groß ist wie noch nie.
Manchmal fühle ich mich wie eine Pionierin im Bereich der Fotografie und blicke mit Stolz auf mein Werk. All meine Zeit, Energie und Leidenschaft sind es wert, wenn ich das Ergebnis betrachte, die Fotografie – sei es aus der IMAGO Camera, einer 8 x 10 Inch Plattenkamera, oder einer Lochkamera. Die hohen Kontraste, diese Brillanz der Oberfläche, dieses Spiel mit Licht und Schatten, und immer die Gewissheit dabei, dass es sich hier um eine authentische Wiedergabe der Wirklichkeit handelt, um ein Unikat ohne Nachbearbeitung, das genau so in dem Moment des Auslösens entstanden ist. Dann weiß ich, dass ich nicht zurück kann und diesen, meinen, Weg weitergehen werde.
Und ich bin neugierig wohin er mich noch führt.
Details
Entstehungsjahr
1970
realisiert
Ort
Prinzenstraße 85D
10969 Berlin
Deutschland
im Aufbau Haus am Moritzplatz
weitere Angaben
Kameragröße 7 x 4 x 3 Meter, spezielles Direkt-Positiv-Papier, maßstabsgetreue Direktbelichtunginitiiert von
- Werner Kraus & Erhard Hößle
- Susanna Kraus
Beteiligte
Schlagwörter
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