Treffpunkt Thusnelda-Allee
Treffpunkt Thusnelda-Allee
grüne Aussicht am Rondell
grüne Aussicht am Rondell
spielen am Sitzkiesel
spielen am Sitzkiesel
erste Besitzansprüche
erste Besitzansprüche
Sitzkiesels Skelett
Sitzkiesels Skelett
Sitzkiesels letzte Haut
Sitzkiesels letzte Haut
Sitzkiesels Sandmodell
Sitzkiesels Sandmodell
2013

Sitzkiesel = Parksymbol

Gestaltung

Latz und Partner

Pate

Florian Rueger

Kategorie

kleine Ewigkeit

vorgeschlagen am

25. April 2013

Plädoyer

Eine verwahrloste und heruntergekommene Grünanlage aus den fünfziger Jahren wurde zu einem neuen, attraktiven Stadtteilpark in Moabit, Berlin umgestaltet.

Ein Park-Element fiel mir besonders ins Auge: riesige Kiesel, welche aussehen, als ob sie Überbleibsel aus dem Berliner Urstromtal wären. Sie liegen im Ottopark, als ob sie schon immer dagewesen wären. Immer wenn ich sie sehe, verfalle ich darüber ins Nachdenken, wie viel Zeit, Geschehen und Leben über sie hinweggegangen ist – obwohl sie ein neues Park-Element sind. Dabei entstehen vielfältigste Bilder vor meinem inneren Auge. Man könnte fast meinen, sie lägen schon eine Ewigkeit im Ottopark, nur dass sie bisher noch niemand wahrgenommen hat.

Die Existenz dieser Kiesel, oder besser gesagt Findlinge, offenbart sich erst beim genaueren Betrachten. Sie liegen da wie in einem ausgetrockneten Flussbett, wo Findlinge natürlicherweise anzutreffen sind. Nur sind diese hier in ihrer Dimension, Anordnung und Materialität eindeutig ein menschliches Werk und nicht das einer Naturgewalt, wie zum Beispiel Wasser oder eines sich bewegenden Gletschergrunds. Sicherlich werden solche Gebilde unterschiedlich betrachtet und es gibt sicherlich vielerlei Ansichten – positive wie negative. Mein Eindruck ist durchweg positiv.

Die Findlinge sind besondere Orte im Park geworden, es sind Wegzeichen, wie zum Beispiel früher Kreuze an Wegkreuzungen. Sie fühlen sich einerseits geschmeidig an, andererseits ist die geglättete Betonoberfläche leicht angeraut und dadurch griffig. Die Berührung ruft bei mir äußerst gegensätzliche Emotionen wach, wie glatt und rau, sanft und brachial. Wahrscheinlich ist es von der Lichteinstrahlung oder vom persönlichen Befinden beeinflusst.

Ich glaube, die Findlinge werden hauptsächlich von Kindern aller Altersklassen bespielt. Sie rennen darüber, hüpfen von einem zum anderen, benutzen sie als Aussichtspunkt mit veränderter Perspektive und als Burg, welche es vor Angreifern zu verteidigen galt. Dies ist wahrscheinlich auch die Absicht und Zweck der Planer. Sie werden als Treffpunkt zum »chillen« von Jugendlichen genutzt, sowie als Ort für »Brotzeit / Mittagspicknick« von mutmaßlichen Büroangestellten. Sie dienen auch als Sitzmöbel für Wartende: Eine Mutter lehnt sich an und wartet, bis ihr Kleinkind den Stein erkundet hat, eine Oma mit Einkaufstüte ruht sich kurz aus, sie sind Treffpunkt für zwei Verliebte, ein Spaziergänger lässt seinen Hund darüber springen.

In der heutigen Zeit wird Freiraum immer mehr instrumentalisiert. Alles muss einen definierten Zweck, eine Funktion erfüllen. Meistens sind die Freiräume so gestaltet, dass man entweder ein Benutzerhandbuch braucht oder die Monofunktionalität zu Langeweile und mutwilliger Zerstörung führt. Diese scheinbar »zeitlosen Steine« regen die verlorengeglaubte Phantasie des städtischen Bürgers an, welcher in Zeitnot durch den Park rennt und sich am Ende vielleicht nur sich darüber aufregen kann, wer denn hier solche Hindernisse in seinem Weg installieren konnte. Ich halte dies für ein gelungenes Zeichen der Landschaftsarchitekten, welches sich gegen die vorherrschende Phantasielosigkeit des heutigen vorgekauten Geschmackes richtet.

Beschreibung

Im kleinen Tiergarten / Ottopark, Berlin Moabit erneuerten wir eine historisch wertvolle Parkanlage aus den fünfziger Jahren.

Neben den erhaltenen Oberflächen wie beispielsweise Mosaikpflaster haben wir neue Materialien eingeführt, die eine vielseitige Nutzung des Parks erlauben. Dem Betrachter eröffnen sich Wechselwirkungen zwischen Vegetation, neuen markanten Sitzelementen, bestehenden historischen Elementen und der Architektur. Die Bäume und Heckenkörper sind durch ihre lockere und unregelmäßige Verteilung unser vermittelndes Element zwischen den Ebenen. Sie sorgen für Kontinuität und Abwechslung im perspektivischen Erleben. Sitzkiesel, die sich in Dimension und Form den Heckenkörpern annähern, bilden im Park einen immer wiederkehrenden Körper, der sowohl ein identitätsstiftendes Element, als auch praktisches und nutzbares Sitzmöbel darstellt. Durch sich wiederholende Gestaltungselemente und einheitliche Materialien erreichen wir eine Homogenität, welche sich nahtlos in die Gestaltungssprache des Stadtquartiers einfügt.

Inspiration:

Am Anfang lag bei einem von uns ein Flusskiesel auf dem Schreibtisch. Daraus entwickelte sich schnell ein Objekt der Begierde, welches wir realisieren wollten. Wir begannen mit Modelliersand zu experimentieren und hatten dabei eine Menge Spaß. Wir stellten dabei fest, dass ein entspannter und fröhlicher Entwurfsprozess erheblich zur Qualitätssteigerung des fertigen »Produktes« beitragen kann. Dies wird unserer Meinung nach auch beim fertigen Ergebnis sichtbar.

In der Realität angekommen:

Bei den Bürgern polarisiert der Sitzkiesel. Bei der Mehrheit kommt er als universell nutzbares Objekt gut an. Bei einer Minderheit symbolisiert er eher den »Stein des Anstoßes«. Sie können mit unserer Umgestaltung des Parks und diesem speziellen Objekt wenig anfangen. Beobachtet man aber die Parknutzer, Passanten und Flaneure, dann bemerkt man immer wieder ein kurzes Überraschungsmoment. Ob eine Gestaltung bei den Nutzern gut ankommt und respektiert wird, sieht man leicht daran, inwieweit sich die Graffiti-Szene daran beteiligt. Ringsum werden regelmäßig die Häuserwände besprüht. Unserer Befürchtungen, die Sitzkiesel würden sofort in Besitz genommen, sind nicht eingetroffen. Die Sitzkiesel werden anscheinend akzeptiert und bedürfen erst einmal keinerlei größerer Markierungen. Sie sind für sich selbst schon markant genug.

Details

Entstehungsjahr

2012

realisiert

Ort

Thusnelda-Allee 1
10555 Berlin
Deutschland
Die ersten Sitzkiesel befinden sich zwischen Thusnelda-Allee und Ottostraße in Moabit. Weitere sollen zwischen Turmstraße und Alt-Moabit bei der U-Bahnstation Turmstraße realisiert werden.

weitere Angaben

Technik:
Die Sitzkiesel werden mittels Schottwänden aus Stahlbeton und dazwischen erfolgenden Auffüllungen aus Beton vorgeformt. Die Ring- und Randbewehrung gibt die Struktur des zweilagig aufzubringenden Spritzbetons vor. Der Spritzbeton ist inhomogen eingefärbt und wird abschließend sandgestrahlt.

Maße:
Die Sitzkiesel haben unterschiedliche Größen.
circa 5 x 3 m und bis zu 0,9 m Höhe

Aufsichtsfläche:
12–18 m²

initiiert von

Beteiligte

Schlagwörter

2 Kommentare

1 Sandra Dörner, 17.4.2013, 22:16

Ein scheinbar unscheinbares Element, eine einfache Idee, so funktional und doch so schön. Selten so etwas gesehen.

2 Margarete Laue, 27.4.2013, 1:31

Sehr schön. Erinnert mich schon fast an den Central Park in New York, wo es natürlich echte und weitaus größere Felsbrocken sind. In meiner Mittagspause lasse ich mich im Park tatsächlich auch lieber auf dem einen kleinen halb-im-Gras-verschwundenen Brocken nieder als auf einer der Bänke ringsum. Die halbe Stunde "Naturverbundenheit" für die Seele. :) Gerade für Berlin, wo mir sonst fast alles zu laut und kantig und SUPER-INDIVIDUELL ist, eine wunderbare, leise Lösung.

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