2013

Der Partybaukasten

Gestaltung

raumservice, Büro für Ereignisse und Gestaltung

Pate

Martin Zentner

Kategorie

ah und oh

vorgeschlagen am

20. Februar 2013

Plädoyer

Was soll denn das? Eigentlich wollte ich nach dem Kongress nur noch einen Absacker trinken und ein bisschen abschalten. Aber als der Raum, in dem die Abschlussparty stattfinden sollte, die Pforten öffnete, wurde mir ein Strich durch die Rechnung gemacht. Mobiliar und Verpflegung waren nicht wie gewohnt locker im Raum verteilt, sondern stapelten sich streng nach Materialien geordnet in der Mitte des Raumes auf dem Grundriss eines Baukastens, der auf den Boden geklebt war. Die Gläser standen gefüllt zu Pyramiden gestapelt neben wohlsortierten Smalltalk-Karten (zehnsprachig!) und Konfettihaufen. Mit meiner Überraschung war ich nicht alleine. Ein Fest ist, was man selbst daraus macht, stellten ein paar mir fremde Konferenzbesucher fest, und wir schnappten uns Verpflegung für Körper (Getränk, Häppchen) und Gemüt (Diskokugel, Lampion).

Während wir es uns schön machten, wagten sich ein paar Leute an die Musikinstrumente, die im Instrumentenfach des Baukastens zu finden waren. Zum Glück waren es Musiker. Als ich mich umsah, war ich begeistert von der dekorativen Kreativität der restlichen Gäste. Nachdem der Nutzen des Inventars ausgelotet war, begannen Experimente mit dessen Umnutzung: Wie viele Heliumballons braucht es, um ein Lampion schweben zu lassen? Das war eine der vielen Fragen, auf die ich diesen Abend eine Antwort erhielt.

Zum Abschalten bin ich übrigens nicht gekommen, aber trotzdem wünsche ich mir mehr solche Baukastensysteme, die uns zum Spielen und Experimentieren einladen. Denn diese Arbeit hat mich begeistert. Mit der Erwartungshaltung des Gastes wurde gespielt, in dem er einer komplett neuartigen Situation ausgesetzt wurde.

Durch das Stilmittel der Reihung und ein festes Ordnungsprinzip wurde das Inventar wie eine skulpturale Installation inszeniert. Um dem Bedürfnis nach Feiern nachzukommen, waren die Gäste damit konfrontiert, in diese Ordnung einzugreifen, sie nach ihren Wünschen zu dekonstruieren und neu zu ordnen.

Der stilisierte Baukasten, der als Folienplot auf dem Boden klebte, diente einerseits der Klassifizierung einzelner »Bauteile«, andererseits forderte er wie ein übergroßes Piktogramm zum Bauen, Neukombinieren und Experimentieren auf. Im Laufe des Abends konnte man die Transformation dieser Installation in eine dynamische, kommunikative Struktur beobachten.

Das Experiment hat funktioniert. Selten habe ich so viel Begeisterung und Interaktion zu einem normalerweise eher steifen gesellschaftlichen Anlass wie einem Sektempfang erlebt. Und das mit einfachsten Mitteln: Ein Folienplot auf dem Boden und die Neuordnung und Umdeutung einer bekannten Situation reichten aus, um den Gästen neue Handlungsspielräume zu zeigen. Neben der gelungenen visuellen Gestaltung wurde rege Kommunikation im Raum erzeugt.

Wie wohl die meisten anderen Gäste werde ich diesen Abend nicht vergessen.

Beschreibung

Zum zehnten Geburtstag der Designkonferenz »Face to Face« sollte im Anschluss an den ersten Konferenztag eine Feier stattfinden. Wie oft bei Projekten, hinter denen kein Unternehmen mit großem Jahresbudget steht, waren zwar die Wünsche groß – rege Kommunikation, ein kreativer Rahmen und ein unvergesslicher Abend sollten entstehen – der finanzielle Rahmen aber beschränkte sich auf die Mittel eines herkömmlichen Sektempfangs. Also war von Beginn an klar, dass wir uns ohne Umschweife der Kernfrage des Abends widmen würden: Wie funktioniert eine gute Party?

Oft besteht der größte Wert einer solchen Feier im Zustandekommen von vielfältiger Kommunikation, anderen Blickwinkeln und neuen Impulsen. Als Gestalter sahen wir unsere Hauptaufgabe darin, hier Impulsgeber zu sein und einen anregenden Rahmen für neue Handlungsspielräume zu eröffnen.

So wollten wir die Gäste einfach selbst das Fest gestalten lassen, ganz wie sie es mögen. Sie sollten nicht nur alles aufbauen, sondern auch miteinander in Kontakt treten und Spaß dabei haben. Hierfür hatten wir den Partybaukasten entwickelt: Anstelle einer fertig hergerichteten Location fanden die Besucher eine Installation vor. Alles, was man für ein rauschendes Fest benötigt, befand sich ordentlich sortiert in der Mitte des Raumes. Den gestalterischen Rahmen gab ein stilisierter Baukasten, der als Folienplot auf den Boden geklebt und nach Materialkategorien beschriftet war.

Dieser hatte einerseits mit seinen Materialreihungen eine skulpturale Anmutung, war andererseits aber auch direkte Handlungsaufforderung: Wer Durst hatte oder sich setzen wollte, musste aktiv in die Ordnung eingreifen, diese dekonstruieren und neue Platzierungen im Raum schaffen. Der Schritt vom Konsumenten zum aktiv handelnden und gestaltenden Teilnehmer war der Dreh- und Angelpunkt des Konzepts: Derart aus den gewohnten Handlungsroutinen geholt scheint oftmals vieles möglich und Raum vorhanden für neuartige kommunikative Momente. Ähnlich der Chemie- oder Technikbaukästen unserer Schulzeit, war auf dieser Veranstaltung nun viel Raum zum Bauen, Experimentieren und Untersuchen der Chemie – und der Sektempfang konnte zum sozialen und räumlichen Experimentierfeld werden.

So war es dann auch: Nach kurzem Zögern begannen die Gäste, in die Installation einzugreifen, gemeinsam die Inhalte des Partybaukastens zu nutzen und Raum und Abend zu gestalten. Im Baukasten befanden sich viele Gegenstände, die Möglichkeiten zur weiteren Interaktion boten, zum Beispiel lieferten Smalltalk-Karten die richtigen Bonmots für die mehr oder weniger gepflegte Konversation, Polaroid-Kameras, Musikinstrumente und verschiedenste Dekorations- und Bauteile taten ihr übriges. Auch entwickelte sich zu unserer Freude eine Eigendynamik, die sich nicht immer an den vorausgeplanten Rahmen hielt: Die Heliumballons – die eigentlich zur Dekoration bereitgestellt waren – wurden als Bestandteilen für vielfältige Tests zur Flugfähigkeit des Inventars umgenutzt, die Smalltalk-Karten initiierten nicht nur kurze Kontaktpunkte sondern auch abendfüllende Gespräche …

Im Laufe der Feier entwickelte sich die statische Installation zum sozialen Gefüge, in dem immer neue Situationen und Rauminszenierungen entstehen konnten. Freudiges Chaos zerstörte die Ordnung. So wie es sich für eine gute Party gehört.

Der Partybaukasten ist ein Baukasten zur situativen Gestaltung von Festen und anderen sozialen Anlässen. In Größe und Befüllung wird er auf den jeweiligen Kontext angepasst – so kann auf Anfrage für unterschiedliche Gegebenheiten ein passender Partybaukasten erstellt werden.

Details

Entstehungsjahr

2010

realisiert

weitere Angaben

Material:
Folienplot, Dekofolie weiss matt

Inhalt:
Getränke, Häppchen, Hocker, Sofaboxen, Stehtische, Diskokugeln, Heliumballons, Lampions, Luftrüssel, Konfetti, Hawaiiketten, Polaroid-Kameras, Smalltalk-Karten, Instrumente ...

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7 Kommentare

1 magdi, 18.3.2013, 23:02

Diese Arbeit erinnert an Formen partizipativer prozessualer Kunst der 1960er wie etwa Allan Kaprows 'Push & Pull'. Nicht jedem Künstler gelingt die Kreation ganzer neuer Genres, wie dem Amerikaner dies mit dem Happening und dem Environment innerhalb der von Harold Rosenberg in jener Zeit konstatierten 'Tradition of the New' glückte. Doch wenn für den Partybaukasten hinsichtlich der Seite seines Kunstwerkscharakters der Aspekt experimentell erreichten Fortsschritts (oder fortschrittlichen Experiments) nicht mehr in Anspruch genommen werden darf, fragt sich, um was es sich hierbei handelt, wenn nicht um Kunst, bzw. was hier ansonsten den Kunstwerkcharakter bestimmt.


http://www.medienkunstnetz.de/works/push-and-pull/

2 wolf kipper architekt, 19.3.2013, 13:45

erfrischend anders - endlich mal nicht das übliche häppchen allerlei - weiter so!

3 Ellen Schenk, 19.3.2013, 13:49

Wer dabei war, weiß was für ein herrliches Fest aus dieser Idee entstanden ist...Es war einfach ein richtig gelungener, kommunikativer Abend mit viel Spaß, Spiel und Spannung! Danke an raumservice

4 Margarete Laue, 19.3.2013, 21:12

Finde ich total großartig. Vor allem, dass man sogar die Stühle selbst aufbauen muss. Sonst sitzen nach 5 Minuten überall im Raum verteilt Grüppchen, man starrt und schweigt sich gegenseitig an.

Gerade dadurch, dass alles auf so engem Raum angeordnet ist, wird man ja gezwungen mit anderen zu interagieren und ins Gespräch zu kommen.

Bei DER Feier wäre ich auch gern dabei gewesen!

5 Birgit Bauer, 19.3.2013, 22:30

Die Kunst hat das Design von Prozessen, Systemen und ganzen Erlebniswelten ja schon beerbt. Dass der Partybaukasten so künstlerisch daher kommt, liegt vielleicht an der "kunstigen" Inszenierung, die alle Elemente nicht nützlich, sondern effektvoll als Meta-Erzählung einer Party inszeniert. Und wenn man zu feiern beginnt, während man über das reflektiert, was eine gute Party braucht, steuert das Set zugegebenermaßen ein Maß an Bedeutung bei, was ja so typisch für das Bezugssystem Kunst ist.

Ob der Partybaukasten dem beim Kinderversand erhältlichen "Prinzessinnen-Party Komplettset" oder einem Happening in einem hippen New Yorker Loft näher steht, entscheidet heutzutage letztlich der Kontext: Nennt sich jemand Künstler und macht somit auch als Designer Kunst? Oder begibt sich der Künstler oder die Künstlerin in das Bezugssystem des Design?

"Experience Design" macht jedenfalls – im Guten und im Bösen – vor nichts halt. Gut, dass endlich auch jemand "eine Situation" hier vorgeschlagen hat, auch wenn die Ästhetik hier bestimmt auch die Hauptrolle gespielt hat.

Es wäre sicher spannend, noch mehr gestaltete Erfahrungen hier vorgeschlagen zu sehen. Es würde einem aktuelleren Anspruch an Design gerecht werden.

6 Sibylle Wagner, 20.3.2013, 12:57

Prozesse der Auflösung: aus statisch wird dynamisch... aus passiv aktiv... prima..
der partygast wird kurz zum Künstler oder Demonteur, Neu- Arrangeur..
..alles fliegt, Konfetti zB oder alles fließt....wies zu einer Party gehört
Sibylle Wagner

7 Kuhn Andreas, 20.3.2013, 14:40

eine ganz großartige idee, die offensichtlich sehr erfolgreich mit typischen erwartungshaltungen an »party« spielt! gestaltung oder kunst? ich finde, hier entzieht sich das ergebnis einer kategorisieurng. die idee, das konzept gewinnt!

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