19. November 2012
Raumschiff Ehrenpreis
Noah mag sich so ähnlich gefühlt haben, als er seine Arche fertiggestellt hatte und noch nicht wusste, wen und was er alles mit sich führen würde. Seit März 2012 arbeiten wir an der Konzeption und an der Umsetzung dieses Raumschiffs namens »Ehrenpreis«. Nun ist es fertig gestaltet, getextet und programmiert. Willkommen an Bord!
Wohin die Reise geht? Wir sind selbst ganz gespannt.
Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum? … Claudia Stein hat Juli Gudehus Fragen gestellt, die Ihnen vielleicht auch schon durch den Sinn gingen:
Claudia: Was ist das für ein Preis, der da neu erfunden wird, den es noch nicht gibt?
Juli: Im Grunde ist es eine Expedition, eine Schatzsuche. Ein Spiel, bei dem man vielleicht einen Blick für das entwickelt, worauf man sonst nicht so achtet und bei dem man auf einmal feststellt: da gibt es echte Schätze zu bergen. Wenn man erstmal diese »Brille« aufhat, mit der man auf diese Weise wahrnimmt oder diese Sachen wahrnimmt, dann kann das richtig Spaß bringen, stelle ich mir vor.
Wer ist da angesprochen?
Vor allen Dingen sind diejenigen angesprochen, für die gestaltet wird: begeisterte Nutzer, zufriedene Auftraggeber, dankbare Konsumente, frohe Bewohner, stolze Lehrende, glückliche Besitzer, faszinierte Beobachter, entzückte Besucher …
Glaubst Du, das funktioniert?
Aber ja! Man muss sich mal einen anderen Berufszweig vorstellen. Schriftsteller zum Beispiel schreiben zwar auch gelegentlich für Schriftsteller, aber sie wollen doch vor allen Dingen von allen anderen Menschen gelesen werden. Und von denen kriegen sie Mengen von Feedback. Da gibt es Rezensionen, da gibt es Fan-Seiten, Leute erzählen sich davon, twittern darüber … und das stelle ich mir vor, könnte für Gestaltung genauso gehen.
Wo wir hier gerade sitzen [schaut sich in Claudias Küche um] … Du könntest mir beispielsweise erzählen: »Schau mal, ich habe mir gerade die ul-ti-ma-ti-ve Teekanne gekauft. Weißt Du, wie toll das ist, dass die nicht tropft und so leicht ist …« was weiß ich, »hält warm wie Sau« oder … Nicht, dass das überhaupt niemand macht. Aber dieses Reden über Gestaltung finde ich so interessant, das kann noch viel mehr stattfinden. Das macht einfach Spaß, sich darüber zu unterhalten. Das macht genausoviel Spaß wie sich über Sport zu unterhalten!
Oder über einen Kinofilm.
Kinofilm! oder über irgendwas anderes. Essen, meinetwegen. Wenn man sich überlegt, wie differenziert Leute, die nicht Köche sind oder sonstwie beruflich mit Lebensmitteln zu tun haben, über Essen sprechen können! Und wir sind der Meinung, dass sie über Gestaltung genauso differenziert sprechen können, ohne beruflich damit irgendetwas zu tun haben. Weil sie es benutzen!
Das ist die Idee: diesen Blick dafür zu öffnen, da die Tür aufzumachen und zu sagen: »Hey, kommt 'rein! Ihr seid hier herzlich eingeladen, Eure Meinung interessiert uns! Brennend!«
Das ist wahrlich ein anderer Ansatz.
Wer redet denn normalerweise über Design?
Über das, was als »Design« vor allem wahrgenommen wird, über das Schöne und Schicke, reden viele. Über den gesamten Rest, der viel unspektakulärer ist und über den landläufigen Designbegriff hinausgeht, reden vor allem die, die beruflich damit zu tun haben. Gestaltung wird außerhalb von Fachkreisen selten rezensiert. Ein Gebäude etwa. So wie neulich das Richard-Wagner-Museum in Bayreuth. Aber das ist natürlich ein Politikum, wegen Wagner und Bayreuth und so weiter.
Und da Architektur so eine Hauptdisziplin ist …
Ja. Vor kurzem gab es aber mal einen außerordentlichen Fall. Microsoft hat grade das erste Mal nach vielen Jahren sein Logo verändert. Auf einmal gab es dazu minutenlange Beiträge im Radio und Artikel in der Nicht-Fachpresse. Das ist doch toll. Das hat aber natürlich damit zu tun, dass Microsoft dieser Konzern ist. Dass es also offenbar doch interessant ist, über so etwas zu reden, bestärkt uns in unserer Annahme. Ich denke, dass es aber auch Spaß bringt, darüber zu sprechen, wie gelungen denn eigentlich zum Beispiel die Gestaltung der Imbissbude in Deiner Straße ist, warum Du da gerne hingehst – oder warum Du da noch nie warst.
[nachdenkliches Schweigen]
Auf jeden Fall ist das ein neuer Ansatz und wir sind selbst ganz gespannt, wie es läuft. Es ist ja nur eine Annahme, dass es gehen könnte. Es basiert auf einer Summe von Beobachtungen, die ich in den letzten Jahren gemacht habe. Ich habe auch das Gefühl, dass … es möglicherweise gerade einfach dran ist? Weil wir als Gesellschaft jetzt an dem Punkt angelangt sind, wo uns die Erkenntnis dämmert, dass Gestaltung unser Leben derartig bestimmt – mit allem, was darunterfällt, von Kommunikationsdesign bis Architektur.
Wenn man an Design denkt, denkt man halt immer an schöne Sachen. Oder an Sachen, die von Künstlern gestaltet sind. Also – sowas stell ich mir dann immer vor: Alessi! Ferrari! …
Ja, das ist ein wunder Punkt. Ich vermeide ganz bewusst das Wort »Design«. Und ich stelle natürlich fest, dass ich, wenn ich von »Gestaltung« rede, bei meinem Gegenüber oft Fragezeichen sehe. Ich benutze diesen Begriff, weil ich finde, dass »Design« so ein ausgelutschtes, abgegriffenes Wort ist. Und genau von dem, was Du eben sagst, diese Alessi-Assoziation und dergleichen, was halt so bunt und fancy ist, davon wollen wir weg.
Unser Wirtschaftsminister Rösler schreibt ja auf der Seite des »Designpreises der Bundesrepublik Deutschland«, den das Wirtschaftsministerium verleiht: »Gutes Design fällt auf.« Da gerate ich sofort in Harnisch. Das tut es nicht!! Das tut es eben nicht! Ganz oft fällt gutes Design eben nicht auf! Und wenn es nicht auffällt, wird es von den meisten Leuten nicht als Design bezeichnet. Und deswegen rede ich von Gestaltung. Denn: egal, wie gut es ist, es ist alles gestaltet. Von einem Laien oder von einem Profi, egal, es ist immer Gestaltung. Und es ist immer die Frage: wie gut ist das denn gelungen? Und was macht es mit unserem Leben? Das ist interessant.
Und wenn jemand sagt: »Hoh, voll die Designerbrille …« oder »Ich hab' mir 'n Designersofa gekauft« oder so, dann freue ich mich erstmal, dass er das wahrnimmt. Naja, vielleicht war ja auch das Etikett drauf »jetzt Designersofas im Sonderangebot!« oder so. Aber … die anderen Sofas sind auch alles Designersofas.
[lacht] … die sind auch alle gestaltet!
Natürlich! Selbst mit fiesem Muster und mit Eiche. Dann ist es auch ein Designersofa, denn: es hat ein Designer entworfen. Oder ein Gestalter. Oder wie auch immer man das nennt. Ich bleibe einfach gern bei »Gestaltung«. Das ist so ein schöner, offener Begriff – irgendwie altmodisch. Man kann ihn neu füllen. Außerdem: der Ehrenpreis spannt so einen großen Bogen, über so viele Disziplinen. Da sind einige dabei, wie Architekten oder Bühnenbildner, die von sich selbst nie im Leben sagen würden, dass sie Designer sind. Aber Gestalter sind sie natürlich.
Das ist natürlich zentral, dieser andere Design- oder Gestaltungsbegriff, den Du hast. Ich glaube, Du kannst Dich darüber schlecht mit den klassischen Designern austauschen, oder?
Also, man muss mal festhalten, dass das der erste Preis ist für Gestaltung, der so offen ist, was die ganzen Disziplinen betrifft. Es gibt in den einzelnen Unterdisziplinen Preise wie Sand am Meer. Architekturpreise, Modepreise, Werbefilmpreise, Plakatpreise, rauf wie runter … sagen wir einfach: Preise plusminus für Gestaltung sind alle mehr oder weniger spezialisiert. Es gibt aber keinen, der wirklich komplett offen ist für alles, was man als Gestaltung bezeichnen kann. Ich meine, Du weißt es ja aus der Kunst oder aus der Musik: natürlich gibt es da Preise, die offen sind, spartenübergreifend. Da würde keiner einen Preis ausloben nur für Bronzeskulpturen und die auch nur bis zwanzig Zentimeter Größe.
Doch.
Okay, die gibt's auch, aber das ist uninteressant. Wichtig sind die großen Kunstpreise. Und wenn jetzt jemand zu mir sagt: »Ja, wie kann denn das bitte gehen, alles unter einem Hut??« Dann kann ich nur sagen: natürlich geht das. Dass Leute, die sich auf einem gewissen Level mit Gestaltung befassen, in der Lage sind, auch die Qualität in den angrenzenden Disziplinen zu erkennen.
Das spielt jetzt auf die Juroren an?
Ja. Genau.
Erzähl mal was über die Juroren.
28 Gutachter und 7 Juroren werden beim Ehrenpreis für Gestaltung in zwei Etappen tätig. Die Gutachter dürfen auf unserer Website zu einem bestimmten Zeitpunkt jeder ein bis zwei Arbeiten aussuchen, die sie für preiswürdig halten. Für diese schreiben sie jeweils eine Empfehlung an die Jury. Den Juroren werden diese Arbeiten dann nach Möglichkeit im Original vorgelegt. Im Gegensatz zu den Gutachtern, die mehr oder weniger das Spektrum aller Designdisziplinen repräsentieren, werden die Juroren diese Felder nicht mehr en detail abdecken können. Wenn Du jetzt einfach nur einen Bereich nimmst wie Kommunikationsdesign, dann hättest Du allein … wenn ich anfange, das aufzuzählen, wird es langweilig … mindestens zwei Dutzend Unterdisziplinen. Und dann gehst Du in den nächsten Bereich … sagen wir: alles, was mit Kleidung zu tun hat … nein, das ist nicht zu machen. Deswegen: diese glorreichen Sieben sind sozusagen Meta-Figuren, die wir auch deshalb einladen, weil sie einen großen Radius haben, sich in mehreren Bereichen tummeln, einen weiten Blick haben und viel mitkriegen.
Bei mir hat sich natürlich auch sofort die Frage aufgetan: eigentlich könnten ja die Leute, die Sachen vorschlagen, auch Juroren sein? Also, jeder, der Gestaltung wahrnimmt, auch wenn er selbst kein Gestalter ist. Oder?
Es gab mal die Überlegung, in der Jury eine Person zu haben, die überhaupt gar kein Gestalter ist. Das fand ich sehr sehr spannend, vielleicht jemand aus der Philosophie oder Soziologie. Aber das ist jetzt ein bisschen in den Hintergrund getreten, weil diese Zahl von sieben einfach schon sehr begrenzt ist. Ich hatte vorher an eine Zahl wie zwölf gedacht, was aber wohl ein bisschen viel ist für eine Jury.
Du erkennst schon, wenn ich das jetzt so erzähle: das hat sich auch alles erst geformt. Ich bin in diese ganze Chose einfach reingesprungen, wie in einen verlockend glitzernden See. Ich habe einfach gedacht, ich mache das jetzt, weil das heiß ist, und weil es das geben muss und das wird klasse. Durch viele Gespräche in den ersten Monaten ist dann erst so manches klarer geworden, schärfer und präziser. Und das gehörte dann eben auch dazu: wieviele Leute sind denn eigentlich sinnvoll, um in so einem Procedere zu guten Ergebnissen zu kommen? Ich habe mir von mehreren Leuten sagen lassen: sieben in einem Raum, das ist schon ganz schön viel, mehr sollten es nicht sein. Also, jetzt sind es sieben. Die Juroren decken die Meta-Bereiche »Gebäude«, »Raum«, »Illustration«, »Fotografie«, »Kommunikation«, »Kleidung« und »Produkt« ab, sehr wesentliche Bereiche. Aber das kann sich schon beim nächsten Mal ändern, weil die Juroren und Gutachter, wenn sie ihr Amt verrichtet haben, ihren Posten an jemanden weitergeben können, den sie für richtig halten. Das heißt, wenn diese 28 plus 7 alle ihr Amt an jemand anders weitergeben, dann kann nächstes mal die Sache schon erheblich anders aussehen.
Das durchzieht im Grunde den ganzen Ehrenpreis, dieses Moment von: da sind Sachen überlegt, ganz stringent, wie eine Grundfläche, wo schon etwas eingezeichnet ist, wo etwas sein könnte, aber was dann wirklich darauf gebaut wird und wie das dann nachher so wächst oder was für Farben oder so, das wird sich dann zeigen. Da sind wir auch selber ganz gespannt. Es gibt immer wieder solche Querschläger, die sind eingebaut, damit das Ganze nicht so stromlinienförmig und langweilig wird.
Was gibt es noch in der Art?
Naja, zum Beispiel das. Dass wir da etwas aus der Hand geben, ohne es zu müssen. Ein spannendes Moment sind auch die sogenannten »Kuratoren«, diejenigen, die die Vorschläge prüfen und zusammen mit den »Paten« und Gestaltern zur optimalen Präsentation führen. Alles steht und fällt ja damit, wie sich jemand als Person in einer bestimmten Situation verhält – und was für Situationen kommen werden, weiß ich nicht und die Kuratoren kannte ich vorher auch nicht. Die hat uns ein günstiger Wind zugfächelt. Mir ist jedenfalls erst nach einem ganztägigen Workshop mit diesen 28 Kuratoren klargeworden, dass die das Ganze erheblich durch ihre Persönlichkeit mitprägen werden.
Was sind das für Leute?
Das sind Kommunikationsdesigner aus ganz Deutschland. Weil die ständig mit der Organisation von Informationen zu tun haben, sind die eine gute Besetzung sind an der Stelle. Sie sind eine Mischung aus Engel, Freund und Helfer auf der einen Seite und auf der anderen Seite Sachbearbeiter. Sie sorgen dafür, dass das, was sie nachher als Vorschlag auf der Seite publizieren, Hand und Fuß hat. Immerhin ist das dann öffentlich für alle zu sehen und zu kommentieren. Darum soll so ein Vorschlag nicht mal eben so hingeworfen sein. Wir wenden uns damit auch ganz dezidiert gegen das, was jetzt an vielen Stellen im Netz Usus geworden ist, nämlich irgendwo im Vorbeigehen irgendwas reinzupfeffern. »Ich finde das jetzt lustig, ich mach' da mal eben mit.«
Das wird beim Ehrenpreis für Gestaltung wahrscheinlich auch so ein Hups!-Moment sein. »Ach so? Ich soll da jetzt nochmal draufgucken? Da fehlt noch was?« … Ich denke, dieser Zwischenschritt wird der Sache gut tun, bevor ein Vorschlag wirklich vom Stapel gelassen wird. Dafür sind die Kuratoren da. Als eine Art Filter.
Wenn Du so willst, sind vorne diese 28 Leute als Filter bevor irgendwas auf der Website erscheint und am Ende kommen die 28 Gutachter als weiterer Filter, wenn die aus allem, was bis dahin vorgeschlagen wurde, ihre Wahl treffen.
Was mir gerade klar wird, ist … Ihr wendet Euch ja damit gar nicht an die Designwelt!? Ihr wendet Euch ja an die Öffentlichkeit.
Das ist der Clou.
Es geht ja im Grunde darum, ob man überhaupt in der Lage ist, bestimmte Dinge und Aspekte wahrzunehmen. Das denke ich, tun schon alle Menschen mehr oder weniger. Aber das auch sprachlich zum Ausdruck zu bringen, ist nochmal etwas anderes. Es braucht für die Teilnahme am Ehrenpreis schon einen gewissen Bildungs- oder Intelligenzgrad. Wer sich für irgendetwas begeistert hat und sich die Zeit nimmt, das beim Ehrenpreis vorzuschlagen, versteht vermutlich, dass das nicht dem schnellen Effekt dient, sondern dass er damit auch eine Art Saat aussät, nämlich die Saat des Guten.
Wir haben ja nicht ohne Sinn und Verstand diese kleine Kanne als Zeichen und dazu den Tropfen als eine Art Sub-Logo. Dieser eine Tropfen, den Du auf eine solche besondere Pflanze gießt, bringt nicht nur diese, sondern die ganze Spezies zum Wachsen und Gedeihen. Oder, um jetzt mal von der Pflanzenmetapher wegzukommen: es gibt jede Menge Gestalter in Deutschland. Viele sind sehr gut, arbeiten aus eigenem Antrieb und machen tolle Sachen. Aber sie haben das Problem, dass sie einfach nicht genug Geld verdienen, um mehr solche guten Arbeiten zu machen. Das haben wir bei diesem Preis im Hinterkopf. Genau dieser Blick auf die Welt, nämlich: wo könnte man denn eigentlich noch was schöner, schneller, lustiger, angenehmer gestalten, das möchten wir gerne fördern. Das heißt, die Leute, die sich die Mühe machen, solche Arbeiten vorzuschlagen, wissen, dass das einen Impuls setzt. Sie begreifen, dass wenn sie solche Schätze ins Rampenlicht holen und diese vielleicht sogar einen Preis kriegen, dass sie damit einen positiven Kreislauf in Gang bringen. Da freue ich mich eigentlich am meisten drauf.
Eins ist klar: diese Vorschläge kriegen eine Öffentlichkeit. Du sagst: »Hier, das ist preiswürdig. Aus diesen und jenen Gründen ist das großartig.« Damit legst Du es den anderen hin und die können für den Publikumspreis ihre Stimme abgeben – separat von dem, was die Jury sagt. Und es ist kommentierbar. Da werden Leute vielleicht schreiben: »Ach, echt, so etwas gibt es? Das wusste ich ja noch gar nicht. Wo gibt's denn das?« Oder »Was soll denn daran bitte toll sein? Ich sehe da nichts«. Und dann wird jemand anders wieder schreiben: »Stimmt, das ist auch eher unauffällig gestaltet, aber ich hab es benutzt und das ist eine Wonne, weil …« Darauf freue ich mich, wenn da eine Diskussion entsteht und das den Gestaltern, Auftraggebern und Produzenten zugute kommt. Die haben alles etwas davon.
Was würdest Du selber vorschlagen? Hast Du Dir darüber Gedanken gemacht?
Was ich selbst vorschlagen würde, wären definitiv Arbeiten, die in irgendeiner Form unser Leben positiv beeinflussen – ein bisschen oder ein bisschen mehr oder richtig doll. Und es wären wohl überwiegend unbekanntere Sachen.
Der Grund ist: es gibt da einen Denkfehler bei allen anderen Konstruktionen. Du hast immer diesen Aufruf: »Leute, wenn Ihr denkt, Ihr habt was Tolles gemacht, dann könnt Ihr uns das schicken und dann beurteilen wir, ob wir das auch toll genug finden, um dem einen Preis zu verleihen.« Aber den Spieß umzudrehen: die Leute bewerben sich nicht, die schicken gar nicht ihren eigenen Kram da hin, sondern jemand anderes, der das toll findet …
… weist darauf hin.
Auf etwas, was der Gestalter selbst nirgendwo eingereicht hätte – aus Bescheidenheit, Unkenntnis, Geldmangel, aus welchen Gründen auch immer. Das führt ganz sicher zu völlig anderen Ergebnissen.
Vielleicht habe ich auch nicht genügend recherchiert, aber ich wüsste nicht, dass es das irgendwo gibt. Außer beim Bundesverdienstkreuz. Und das hat mich auf die Idee gebracht. Da ist es nämlich so, dass jeder deutsche Staatsbürger sagen kann: »Hier, meine Nachbarin, die hat das verdient, weil …« und dann schreibt der sein Plädoyer. Es gibt eine wie auch immer geartete Stelle in unserer Regierung, wo diese ganzen Empfehlungen gesichtet und geprüft werden. Und dann gibt es eben für manche Leute dieses Bundesverdienstkreuz. Das finde ich fabelhaft. Das ist total persönlich, total schlank, total gradlinig und es hat nur gute Effekte. Genau so stelle ich es mir beim Ehrenpreis für Gestaltung auch vor. Mit dem Unterschied, dass derjenige, der dann den Preis bekommt, auch erfährt, wer seine Arbeit vorgeschlagen hat. Das bleibt beim Bundesverdienstkreuz nämlich geheim.
Beim Ehrenpreis wird es so sein, dass derjenige, der sich so engagiert, mit auf die Bühnen kommen soll. Ich will, dass der auch Applaus kriegt.
Toll.
Wir sprechen von »Paten«. Wer einen Vorschlag macht, wird mithin zum Paten. Es hat ja schon etwas Fürsorgliches. Es ist ein In-Obhut-Nehmen und ein Dafür-Sorgen, dass etwas gut gedeiht. Insofern verspreche ich mir auch davon, dass die vorgeschlagenen Arbeiten schon eher Perlen sein werden, eher Sachen, die nicht so offensichtlich sind.
Du kannst natürlich auch etwas Populäres vorschlagen, meinetwegen Deine Handschuhe von Adidas. Aber wenn Du mal irgendwo Kacheln gekauft hast, die Du ganz toll findest, dann musst Du erstmal herausfinden, wer die eigentlich gestaltet hat. Wer kennt schon Firmen, die Kacheln herstellen? Adidas kennt jeder. Ich freue mich auf solche unpopuläreren Vorschläge.
Wenn ich darüber nachdenke, was ich so praktisch finde – für mich ein ganz wichtiger Aspekt, als Mutter – was mir zum Beispiel sehr viel Freude macht ist hier meine Spülbürste, die unten so einen Saugnapf hat. Die ist von Ikea. Die kann ich aber wahrscheinlich nicht vorschlagen, weil sie nicht von einem deutschen Designer ist?
Vermutlich, ja.
Aber dann gibt es das Problem, Juli, dass die meisten Produkte, die wir hier in Deutschland haben, nicht in in Deutschland produziert sind.
Man darf sich ruhig von dem Gedanken an »Produkte« frei machen. Es geht ja auch um Gebäude, Kommunikation, und und und. Weißt Du, wenn Du zum Beispiel in einem Musical bist und findest das Bühnenbild total genial, dann kannst Du ziemlich sicher sein, dass das deutsche Gestalter waren.
Oder jemand, der hier gearbeitet hat. Das sind ja auch oft Ausländer.
Der Ehrenpreis ist ein nationaler Preis, um erstmal ein bisschen auf dem Teppich zu bleiben, was die Größe der ganzen Veranstaltung betrifft. Dennoch: der Gestalter einer vorgeschlagenen Arbeit muss nicht zwangsläufig ein Deutscher sein. Es darf auch jemand sein, der in Deutschland ansässig ist.
Wir nehmen an, dass die Leute einschätzen können, wie wahrscheinlich es ist, dass etwas aus Deutschland oder von einem Deutschen ist und ob es sich lohnt, das herauszufinden. Wenn es zum Beispiel von Adidas wäre, von einer deutsche Firma, das könnte das wohl hinkommen. Während Du das iPhone von Apple gleich beiseite legen kannst. Das ist überhaupt gar nicht aus Deutschland. So toll es auch ist.
So toll es auch ist. [lacht]
Es gibt soviele Unwägbarkeiten bei dem ganzen Vorhaben. Das ist aber auch total aufregend.
Entscheiden die Kuratoren auch darüber, ob etwas passt?
Es gibt eine extrem offene Definition von dem, was als Gestaltung beim Ehrenpreis willkommen ist. Nämlich alles, was eine Funktion hat, ein Aussehen hat und von Menschenhand geschaffen wurde. Das ist wirklich wahnsinnig allgemein, ein bisschen wie eine mathematische Formel. Aber wenn man sich das mal auf der Zunge zergehen lässt, stellt man fest, dass darunter eine ganze Menge fallen würde.
Da ich hier gerade auf die Kinderbilder auf der Wand gucke: das würde natürlich auch auf die zutreffen. Das wäre als Vorschlag zwar echt grenzwertig, aber auch die haben gewisse Funktionen: Geschenk, Stimmungsaufheller, Dokumentation … Darum würde ich denken: schlag es halt erstmal vor und dann bin ich gespannt auf Dein Plädoyer! Und vor allem bin ich neugierig, in welcher Kategorie Du das vorschlägst. Es gibt nämlich sieben Kategorien, die als Filter dienen.
Was sind das für Kategorien?
Die Gemeinsamkeit aller Kategorien ist, dass sie für Arbeiten offen sind, die unser Leben als Individuum oder als Gesellschaft auf positive Weise beeinflussen. Und dann gibt es verschiedene Ausprägungen. Unter »weniger ist mehr« fallen zum Beispiel Arbeiten, die Zeit, Nerven und Kraft sparen. Eine andere Kategorie gilt Arbeiten, die sich mit unangenehmen Themen befassen. Einer andere ist offen für Arbeiten, die stimmungsaufhellend oder erheiternd sind. Und so weiter.
Wenn Du eine Arbeit toll findest und sie passt in keine Kategorie, dann … tja, dann ist sie nichts für den Ehrenpreis. Der Kurator wird das entsprechend zu Bedenken geben.
Die Devise ist aber, grundsätzlich offen zu sein. Allerdings: wenn Du am Straßenrand eine Blume pflückst …
[lacht]
… und Du findest die super gelungen und schlägst die für den Ehrenpreis vor und argumentierst so: »der Schöpfer ist der liebe Gott …« dann würde der Kurator antworten: »Prima, das ist wirklich eine schöne Blume, aber ich glaube nicht, dass Gott kommen kann um den Preis abzuholen.«
Naja … alles was recht ist …
[lacht immer noch] Das ist toll. Das ist total verrückt. Ich merke richtig, wie mir schwer fällt, diese herkömmliche und tief eingeprägte Designvorstellung loszulassen um mich wirklich dem zu öffnen, was ich benutze oder was schön ist, was mir nützt oder was mich bezaubert.
Plus: wir reiten überhaupt nicht darauf herum, ob es jemand vom Fach gestaltet hat. Eine selbstgebautes Spielzeug etwa geht auch oder eine Verbindungsstück zur Dachmontage von Solarzellen. Etwas, das vielleicht kein studierter Gestalter entworfen hat, sondern ein Ingenieur oder ein Klempner hat daran herumgetüftelt. Ich bin total gespannt, ob solche Vorschläge auch kommen, weil das für meinen Begriff auch Gestaltung ist. Mir ist vor allem wichtig, dass jemand darüber nachdenkt, wo etwas noch besser sein könnte, als das, was es schon gibt. Dass jemand zum Beispiel feststellt: »Mann, ich verirre mich da ständig« oder »Ich muss da immer die Brille aufsetzen« oder »Da klemme ich mir so oft die Finger« oder »Warum tropft denn das eigentlich?« Und dann hast Du mal eine Sache, wo Du denkst: »Was für eine Wohltat, da hat sich ja endlich mal jemand Gedanken gemacht!«
Uns geht es um eine Geisteshaltung, um eine freundliche, positive Haltung. Extrem lebensbejahend. So wie wir selbst jetzt das heiße Eisen anfassen und diesen Preis ins Leben rufen, sagen andere Leute in anderen Gebieten: »Das kann doch nicht angehen. Ich nehme mich jetzt dieses Problems an. Mal gucken, ob es mir nicht gelingt, da was Gescheites zu machen.«
Das ist der sehr große, aber doch gemeinsame Nenner, Gestaltung in diesem Sinne. Das heißt, so etwas wie reiner Sound oder reiner Text oder reine Bewegung sind nicht für den Ehrenpreis geeignet.
Und Kunst?
Da würden wir es genauso sehen wie bei etwas, was vielleicht eher eine Ingenieursleistung ist. Da gibt es so viele Grauzonen zwischen Kunst und Design oder zwischen Kunst und Architektur oder Kunst und Mode. Darauf sind wir viel zu neugierig, als dass wir da schon die Tür zumachen würden. Wir sind vielmehr gespannt, was für eine Diskussion darüber in Gang kommt. Künstler, die sich zum Beispiel mit Kleidung künstlerisch arbeiten, oder Modedesigner, die in Richtung Kunst gucken, interessieren mich persönlich ganz besonders. Die machen Türen auf. Und die Fenster. Die machen alles auf und gucken raus.
Warum heißt der eigentlich »der Ehrenpreis«?
Der Name ist zufällig entstanden. Ich hatte schon eine Weile lang überlegt, so einen Preis zu machen, hab aber immer nicht so richtig den Elan dafür aufgebracht. Dann aber gab es mal ein Gespräch mit einem Gestalter, der … nein, ich muss wohl doch weiter ausholen.
Also, die Geschichte ist die. Vor sechs Jahren wurde ich für den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland nominiert. Diese Mitteilung bekam ich in einem Din-A-4-Umschlag per Post, sehr wertig aufgemacht. Ich freute mich, war ganz verblüfft, machte das auf, las, sah mich schon dem Wirtschaftsminister die Hand schütteln …
[lacht]
… dann las ich das Kleingedruckte und stellte fest, dass das Ganze nicht so weit war, wie es den Eindruck machte, sondern dass ich erst am Anfang eines Wettbewerbs stand, den sie auslobten. Um daran teilzunehmen, sollte ich um die 300 Euro zahlen und wenn ich gewonnen hätte, nochmal zweitausend-noch-wieviel, also ich hätte insgesamt ungefähr 3.000 Euro investieren müssen, um den Staatspreis überhaupt kriegen zu können. Das fand ich so ärgerlich. Plus die Erkenntnis, dass der Staat sich nicht die Mühe macht, herauszufinden, wer eigentlich gute Arbeiten macht, sondern einfach den Rahm abschöpft bei den existierenden Preisen. Alles, was da gewonnen hatte, wurde automatisch für den Staatspreis nominiert. Das fand ich einfach nicht richtig. Das ist keine Ehre, sondern im Grunde eine Frechheit.
Offiziell handelt es sich allerdings auch um einen Wirtschaftsförderpreis und nicht um einen Ehrenpreis. Darüber unterhielt ich mich einmal mit dem bekannten Gestalter Friedrich Forßman, der sagte: »Ehrenpreis? ist das nicht so eine kleine, blaublühende Pflanze? Lateinisch Veronica?«
Da hat es bei mir gezündet. Da dachte ich: das ist ja wohl überhaupt der allerbeste Name für den Preis, den ich die ganze Zeit schon machen will! Mir hat diese Doppeldeutigkeit so gefallen. Später habe ich recherchiert, dass diese unscheinbare Pflanze so artenreich ist wie kaum eine andere – das passt ganz phantastisch zur Gestaltung, die auch in so vielen Unterdisziplinen daherkommt.
Mittlerweile bin ich gar nicht mehr so sicher, ob das so gut ist, dass das Wort »Preis« schon im Namen steckt. Im Zuge der Arbeit daran haben wir nämlich festgestellt, dass das eigentlich Interessante nicht der Preis ist, sondern das, was damit in Gang gesetzt wird: dass Fachleute mit Laien und Laien mit Fachleuten über Gestaltung sprechen, dass es einen Ort gibt, wo man sich austauschen kann.
Kennst Du Wiki Commons? Wikiversity? Das sind Unterseiten von Wikipedia. Da geht es um weitere Arten von Verbreitung von freiem Wissen. Auf Wikiversity gibt es lauter Fachbereiche, wie Germanistik und Biologie und und – ja, glaubst Du, da wäre Design irgendwo vertreten? Natürlich nicht. Das finde ich sehr symptomatisch. Darum: dafür zu sorgen, dass sich Leute anfangen, sich auch für diesen Bereich zu interessieren, das reizt mich.
Dennoch werden bestimmt irgendwelche ketzerischen Stimmen kommen: »Die Leute interessieren sich eher für Sport, warum sollen die sich auf einmal für Gestaltung interessieren? Da kann ich nur sagen: weil es immer Leute gibt, die sich für alles mögliche interessieren. Und wenn da ein neuer, frischer Wind wo weht, dann ist das schon interessant. Es wird sich schon zeigen, ob da was passiert. Über Sport und Wetter kann man ja dann immer noch reden.
Ich überlege, wann ich mich über Gestaltung unterhalte. Wahrscheinlich öfter, aber wenn ich überlege, was ich vorschlagen würde, fällt mir erstmal gar nichts ein. Wahrscheinlich muss man es mitnehmen ins Leben und dann im geeigneten Moment denken: »Ha, dafür gibt's doch jetzt was!«
Ich habe bei Dir schon etwas gesehen, was ich vorschlagen würde. Ich weiß nicht, ob es von einem deutschen Gestalter ist. Dieser Doppel-Klodeckel für Kinder und Erwachsene, der ist mir aufgefallen. Das ist ja mal toll gelöst.
Das gibt es schon länger, das haben mehrere Firmen im Angebot. Einer hat mal damit angefangen. Es gibt ja auch Patente für solche Sachen.
Eine mögliche Unschärfe. Wenn Du etwas toll findest und Du weißt nicht, dass das vielleicht jetzt schon in einer kleinen Tradition von anderen steht, die das auch so machen. Das kannst Du ja nicht wissen. Aber das wird sich später zeigen.
Das machen die Kuratoren für mich?
Du schreibst, warum Du das so gut findest und Du findest heraus, wer es gestaltet hat, auch die Mailadresse dieser Person oder Firma, damit diese von Deinem Vorschlag in Kenntnis gesetzt werden und mit ihren Daten komplettieren kann. Wenn sich später herausstellen sollte, dass es in der Art schon andere gibt, dann könnte sehr gut sein, dass die Diskussion im Netz das zu Tage fördern wird.
… und dann fliegt es wahrscheinlich auch wieder raus, oder?
Es fliegt nicht raus, behält aber diesen Anhang von Kommentaren. Natürlich kann passieren, dass niemand die Arbeit kommentiert. Vielleicht bekommt sie ja einen Preis, weil sich alle einig sind, dass das klasse ist und dann stellt sich heraus, dass die Qualität für die es ausgezeichnet wurde nicht auf dem Mist der Gestalter gewachsen ist … Gratwanderung.
Ja, das ist überhaupt die Gratwanderung zwischen Erfindung und Gestaltung. Wo ist da die Grenze?
Wir ziehen die nicht. Du kannst ja Ideen nicht rechtlich schützen. Und »Idee« ist gleich »Erfindung«. Du kannst nur ein Geschmacks- oder Gebrauchsmuster anmelden. Da zählt, wie es im Einzelnen gemacht ist. So kommt es zu völlig irrwitzigen Streitereien, wo beispielsweise die Telekom eine kleine Firma verklagt, weil diese ein großes T in ihrem Logo hat. Darüber kann ich als Typografin nur den Kopf schütteln, weil es gestalterisch null Ähnlichkeit miteinander hat. Die »Idee«, ein großes T als Logo zu verwenden … erstaunlich, dass eine Firma wie die Telekom findet, dass sie das schützen müsste. Das kann aber natürlich nicht angehen. Dann muss man sich auch über die so genannte »Schöpfungshöhe« unterhalten.
Nein, da wollen wir uns gar nicht in Teufels Küche begeben. Wir bieten da eine Manege und wir bieten unsere Hilfe an, damit ein runder und stimmiger Eindruck der Qualitäten der jeweiligen Arbeit entsteht. Mehr können wir nicht leisten. Wir sind ja keine Stiftung Warentest oder so etwas. Und nebenbei bemerkt kann das auch niemand anders leisten. In der Vergangenheit gab es bei anderen Preisen natürlich Fälle, wo angefochten wurde, dass etwas ausgezeichnet wurde, weil jemand anders das so oder ganz ähnlich schon früher gemacht hat. Das Problem können wir nicht lösen.
Kann man als Gutachter und Juror auch Arbeiten vorschlagen?
Nein. Das hatte ich mir zwar ursprünglich anders überlegt, weil ich gut fand, dass wirklich alle als Scouts unterwegs sind, ganz besonders die Fachleute mit dem kundigen Blick. Aber mir leuchtet ein, dass das den Vorwurf der Befangenheit mit sich bringt. Umgekehrt darf auch während ihrer Amtszeit keine ihrer Arbeiten vorgeschlagen werden.
Es gibt aber definitiv mehrere Wege, unsere Konstruktion zu unterlaufen. Wenn etwa Gestalter ihre Auftraggeber oder sonstwen bitten, eine ihrer Arbeiten vorzuschlagen. Klar ist das Vetternwirtschaft und auch nicht im Sinne des Ehrenpreises, aber wir können auch das nicht nachprüfen, ob jemand aus eigenem Antrieb handelt oder um jemandem einen Gefallen zu tun.
Wir können deswegen nur auf die Fairness und – naja, das klingt jetzt so altmodisch – Ehrenhaftigkeit der Leute bauen.
Erklär nochmal, wie das funktioniert. Zentral ist ja die Webseite als Plattform, wo das alles gesammelt wird.
Die Startseite zeigt immer die jüngst vorgeschlagenen Arbeiten. Du kannst auf unserer Website herumstöbern und Dir erstmal einen Eindruck verschaffen, wie unterschiedlich andere daran herangehen. Allein die Plädoyers der Paten sind schon so verschieden. Eher lang, eher knapp, manche trocken, manche blumig. Auch die Arbeiten werden sehr sehr unterschiedlich sein. Dann hast Du vielleicht selbst Lust etwas vorzuschlagen, was plusminus so dazwischen passt oder aber die Grenzen strapaziert – wie auch immer, es wird auf jeden Fall grundsätzlich willkommen sein. Es gibt einen Button, da steht »vorschlagen«, da drückst Du drauf und dann geht die Arie los. Da wählst eine Kategorie aus, dann stellst Du einen Schnappschuss von »Deiner« Arbeit ein, Dein Plädoyer dazu, den Namen des Gestalters und seine Mailadresse. Wir prüfen dann, ob die Kategorie passt und ob aus Fürsprechersicht vielleicht noch mehr zu sagen wäre. Wenn alles da und alles gut ist, wird der Gestalter benachrichtigt. Das ist dann der Arie zweiter Teil. Der Gestalter komplettiert diesen Vorschlag mit seinem Bildmaterial, ergänzt Detail-Informationen – zum Beispiel Maße, Materialien, Standort und so weiter – und er beschreibt seine eigene Perspektive auf diese Arbeit. Im Endeffekt ist beides zusammen so wie Ying und Yang: die Sicht des Paten zum einen und die des Gestalters zum anderen. Zwei verschiedene Perspektiven auf die gleiche Sache. Stereo. Davon versprechen wir uns einen 3d-Effekt. Der Gestalter sagt vielleicht Sachen, die man als Empfänger gar nicht wissen kann, bringt rüber, mit wieviel Wissen, Erfahrung und Zeitaufwand das wohl verbunden war. Dieses Aus-dem-Nähkästchen-Plaudern kann sehr aufschlussreich sein, weil für viele doch recht undurchsichtig ist, was Gestalter eigentlich machen. Für die Gestalter wiederum wird spannend sein zu hören, was der Benutzer schreibt, wie es ihm damit geht, was das mit ihm macht.
Dann kommt als drittes hinzu, dass man als Besucher die auf unserer Seite publizierten Arbeiten kommentieren kann. Da kann potentiell zu jedem einzelnen Vorschlag eine Diskussion in Gang kommen.
Und man kann sie bewerten.
Genau. Du hast pro Arbeit eine Stimme, die Du ihr geben kannst.
Das wäre dann der Publikumspreis.
Ja.
Und die Paten? werden sie auch erfasst? kann man sehen, wer das ist? wie alt? woher?
Bei jeder Arbeit steht, wer sie vorgeschlagen und wer sie gestaltet hat. Und wenn Du da draufklickst, landest Du in dem jeweiligen Profil und erfährst was und wieviel auch immer jemand Lust hat über sich preiszugeben. Siehst vielleicht auch ein Foto der Person.
Ach so, die Gestalter auch! Ah. Wow.
Wenn sich jemand registriert, bitten wir darum, Name und Wohnort anzugeben. Das kann man natürlich faken. Aber die Idee ist: wir wollen uns austauschen – nicht anonym, sondern ganz verbindlich und persönlich. Das ist wesentlich beim Ehrenpreis.
Du fragst Dich also: wer hat denn das vorgeschlagen? Ah, eine Lehrerin aus Castrop-Rauxel, die mit ihren Schülern die und die Projekte macht …
Oder ein Bauer aus Buxtehude.
Genau, und wenn er seine Mailadresse zeigt und Du Lust hast, mit dem Kontakt aufzunehmen, dann hast Du eine nicht so offensichtliche, aber sehr wichtige Ebene des Ehrenpreises betreten.
Von diesem Bereich können wir noch gar nicht sagen, wo der sich wohl hinentwickelt. Stell Dir vor, Du bist Schuldirektorin und besuchst die Seite aus professionellen Gründen, weil Du wissen willst, was es eigentlich für gelungene Projekte im Bereich Schulhofgestaltung gibt. Du gibst in der Suche »Schulhof« ein. In ein paar Jahren gibt es dann sicherlich einige solche Arbeiten beim Ehrenpreis. Deren Schöpfer kannst Du dann ganz bequem direkt kontaktieren. Vielleicht interessiert Dich ja auch nur ein Detail, nicht die Gestalter, sondern Du bemerkst, dass die Firma, die das Pflaster verlegt hat, bei Dir in der Gegend ansässig ist. Wenn der Gestalter solche Beteiligten mit deren Website genannt hat, dann ist es auch hier nur ein Schritt für Dich.
Die Gestalter werden von uns gebeten, das auf sie gerichtete Rampenlicht mit denjenigen zu teilen, die an der Arbeit beteiligt waren. Davon haben nämlich auf lange Sicht alle was, wenn sie ihre Sache gut gemacht haben.
Und was ist der Preis?
Dem Namen entsprechend besteht der Preis vor allem in der Ehre, ihn zu bekommen. Diese Ehre ist wirklich eine Ehre, da Du Dich um sie nicht bewerben kannst. Sie wird Dir unverhofft zuteil oder nicht. Vorausgesetzt, Du hast keinen Strohmann dafür engagiert, Deine Arbeit vorzuschlagen und hast nicht Deine hunderttausend Freunde darauf angesetzt, den Publikumspreis für Dich klarzumachen.
Zusätzlich zu der Ehre möchten wir dafür sorgen, dass die Preisträger auch ein Preisgeld bekommen. Wir werden uns darum bemühen, auch hierfür Sponsoren zu finden. Das ist übrigens außerordentlich in unserer Disziplin. Da muss man normalerweise im Gegenteil Geld zahlen, um an einem Wettbewerb überhaupt teilnehmen zu dürfen. Preisgelder kannst Du da wirklich mit der Lupe suchen.
Wenn ich mir vorstelle, dass die Preisträger diesen besonderen Blick haben und diesen Drive und wenn die ein paartausend Euro kriegen und mal eine Weile lang unbehelligt arbeiten können, ohne sich darüber Gedanken machen zu müssen, wie sie Mäuler stopfen und Mieten bezahlen können, dann denke ich mir: das wird uns als Gesellschaft zugute kommen. Und ihnen selbst. Da schließt sich der Kreis für mich.
Aber allein die Ehre, die wir entsprechend publik machen werden, das entsprechende Rampenlicht bedeutet mehr Leute, die ihnen zutrauen, dass sie gute Sachen machen. Auftraggeber, die im besten Fall auch besser bezahlen und mehr Leine lassen. Auch das ist wichtig.
Das ist ja auch so ein Ding. Beim Vermitteln dieser Arbeit, die da gemacht wird … wenn man mit diesen festgezurrten Klischees zu tun hat, dann gehört dazu auch dieses vollkommen unausrottbare Klischee des Gestalters als Oberflächenverhübscher. Jemand, der erst ganz am Ende hinzugezogen wird, um noch ein bisschen was schön zu machen. Da kann ich mich total drüber aufregen. Es ist nämlich so, dass Gestalter ganz oft ganz fundamental denken und es wäre im Gegenteil richtig, sie schon ganz am Anfang dabeizuhaben! Weil sich dann schon alles ganz anders entwickeln würde! Und die Designer, die das mit sich machen lassen, sich erst am Ende einspannen zu lassen, die werden beim Ehrenpreis sowieso nicht reüssieren. Mich interessieren Gestalter, die sich einmischen und sagen: »Was, so weit seid Ihr schon? Nee, das haut aber nicht hin. Ich kann Euch das schönmachen, klar, aber das wird weder Euch noch der Sache guttun. Am besten gehen wir nochmal drei Schritte zurück.«
Wie bist Du eigentlich dahingelangt? Von dieser persönlichen Erfahrung mal abgesehen? Einen Designpreis zu erfinden ist ja auch eine Designleistung.
Es gibt viele Wege dahin. Einer davon mein jüngstes Projekt, ein dreitausendseitiges Buch, das »Lesikon der visuellen Kommunikation«. Auch das wendet sich schon an die Nicht-Gestalter. Dass mir das gelungen ist, hat mich selbst überrascht. Und es macht mich zuversichtlich.
Während ich nämlich an diesem Buch arbeitete, dachte ich, dass das vor allem für Fachleute interessant wäre. Aber mehr und mehr hatte ich Lust, es so anzulegen, dass es genauso zu unseren Auftraggebern spricht. Also ein Schritt raus aus der Fachwelt. Dann dachte ich auch an unsere Dienstleister und dann … warum nicht den Radius noch weiter vergrößern … und siehe da: das »Lesikon« ist durchaus kein Fachbuch. Oder doch, es ist eins. Aber wer mit meiner Disziplin nichts zu tun hat, kann das ebenfalls mit Gewinn lesen. Die vielen positiven Reaktionen darauf machen mich mutig, so etwas wie den Ehrenpreis anzugehen. Ich merke, dass es ein Grundinteresse gibt, eine Grundfähigkeit und -bereitschaft, sich damit zu befassen. Weil es mit unserem Leben zu tun hat! Das ist sehr wahrscheinlich der gemeinsame Nenner.
Du kannst wahrscheinlich auch irgendein anderes Feld nehmen. Philosophie. Da kann man sich so verquast ausdrücken wie Hegel, was kein Mensch versteht, oder wie Kant, das ist wie reinstes Quellwasser, jeder kann es verstehen. Und ich will da hin. Horizonterweiterung, Erkenntnis in einem ganz bestimmten Bereich.
Was hat es mit diesem »Lesikon« auf sich?
Im Prinzip ist es eine Collage von Äußerungen von etwas über 3.500 Personen, von Fachleuten und Laien, von heute bis von vor über zweitausend Jahren. Diese Texte habe ich miteinander in Zusammenhang gebracht. Wenn Du einen Begriff nachschlägst, findest Du immer mehrere Texte dazu, anders als in gewöhnlichen Nachschlagewerken. Dieses Beleuchten aus verschiedenen Perspektiven, teilweise sich widersprechend, teilweise sich reibend oder ergänzend, das ist etwas, was ich in dieses neue Projekt mitnehme. Beim Ehrenpreis geht es auch genau darum: dass es nicht die eine gültige Wahrheit gibt, sondern dass verschiedene Leute völlig berechtigt unterschiedliche Positionen vertreten und diese gescheit verargumentieren. »Ich find's scheiße« oder »Is ja super« reicht mir dann noch nicht. Ich will hören, was genau daran gut ist. Okay, das ist schön leicht, sagst Du meinetwegen, und weiter fällt Dir nichts mehr dazu ein. Und dann stellst Du fest, wie schwierig das ist, darüber zu reden!
In dem Maße aber, in dem Du viel über etwas redest, wächst aber auch Dein Vokabular. Und das ist so großartig!
Ich meine … frag mal ein Kind, wie es geschmeckt hat. »Gut!«, sagt es wahrscheinlich. Klar, das Kind kann Dir noch nichts über Gewürze sagen oder über Zubereitungen. Das kommt erst noch. Und das macht Spaß. Je mehr Du in Worte fassen kannst, desto mehr nimmst Du auch wahr. Und umgekehrt.
Wie bist Du eigentlich zur Gestaltung gekommen?
Wahrscheinlich war immer schon klar, dass ich komische Sachen machen würde. Aber auf welchem Sektor, das wurde mir nicht in die Wiege gelegt. Eigentlich gab es keine Anbahnung, dass ich ganz genau in diesem Bereich landen würde. Ich habe nur immer wieder den Verdacht, dass ich genau solche Sachen auch dann machen würde, wenn ich beruflich einen anderen Weg eingeschlagen hätte. Offenbar hat es eher mit meiner Geisteshaltung zu tun oder mit meiner Weltwahrnehmung oder mit meiner Persönlichkeit vielleicht auch.
Mit meinen Helden … Pippi Langstrumpf ist immer noch mein großes Idol. Diese Fröhlichkeit, dieses Ich-mach's-einfach und Warum-kann-man-es-denn-nicht-anders-machen?, diese Freundlichkeit und sehr positive Weltsicht, das hat mich wohl als Kind schon geprägt. Außerdem gibt es einen gewissen Familien-Erbteil von Wortwitz und Begeisterung für Sprache, von austüfteln und spielen. Spielen ist total wichtig. Spielen finde ich sehr attraktiv. Meinen beruflichen Werdegang finde ich gar nicht so interessant zu erzählen. Ich könnte Dir Stationen nennen, aber viel entscheidender sind die Eindrücke auf meinem Weg. Zum Beispiel mit Büchern von F.K. Waechter aufzuwachsen oder später einen Künstler wie Timm Ulrichs für mich zu entdecken und derartig zu studieren, zu inhalieren, seinen Witz und Hintersinn und Schelmentum so zu verinnerlichen, so etwas hat mich geprägt. Viel mehr, als dass ich in Düsseldorf visuelle Kommunikation studiert habe oder meine Lehre als Verlagsbuchhändlerin in einem Kunstbuchverlag. Das hat mich auch irgendwie beeinflusst, aber vergleichsweise viel weniger, scheint mir.
Vielleicht auch die Tatsache, dass in mein Poesiealbum, das ich als Kind hatte, gleich von zwei verschiedenen Leuten dasselbe Zitat von Goethe geschrieben wurde, nämlich: »Ursprünglich eigen Sinn lass dir nicht rauben! Woran die Menge glaubt, ist leicht zu glauben.«
Toll. Und wo nimmst Du immer die Kraft her, beim Eigensinn zu bleiben?
Eigentlich bin ich gar nicht so kräftig. Aber vielleicht habe ich so ein bisschen … ich weiß gar nicht, was ist das für eine Disposition? Vielleicht bin ich ein bisschen wie so ein Rauhaardackel … wenn der sich mal an einem Stöckchen festgebissen hat, dann lässt der so schnell nicht wieder los, dann kannst Du den Stock hochheben und der hängt da immer noch dran.
[lacht]
Das bin ich. Ich habe eine Wahnsinnsausdauer, eine Wahnsinnskraft, wenn ich auf der Spur bin und weiß, dass DAS das Ding ist. Ich muss das dann machen. Aber das heißt nicht, dass ich immer und bei allem Kraft habe. Jetzt beim Ehrenpreis und auch vorher beim Lesikon hatte ich schon immer mal wieder Momente, wo ich mich gefragt habe, ob ich eigentlich vollkommen wahnsinnig bin, dass ich denke, dass ich das schaffen könnte. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, unter anderem bei diesem Dreitausendseitenbuch, dass so etwas Wahnsinniges geglückt ist. Ja, geglückt, denn es hat ja nicht nur mit meiner Person zu tun. Auch günstige Umstände haben eine Rolle gespielt. So etwas macht mich zuversichtlich. Das ist eine tolle Erfahrung.
Wie packst Du den Ehrenpreis jetzt an? Wie bringst Du den ins Rollen? Was sind das für Prozesse, wie sind die gestaltet?
Im Februar dieses Jahres gab es kurz hintereinander einige Ereignisse, die mir das Gefühl gaben, dass der Ehrenpreis jetzt dran ist, dass ich das jetzt machen muss. Eines davon war ein Artikel, um den mich eine Werbezeitschrift bat. Da ging es um Designpreise. Zeitgleich stellte das Wirtschaftsministerium eine »Reform« seines Staatspreises vor, die sich als eigentlich keine entpuppte. In meinem Artikel habe ich mich aus dem Fenster gelehnt und das öffentlich gesagt, sogar den Ehrenpreis schon angekündigt. Dann kriegte ich kalte Füße und wollte einen Rückzieher machen. Aber eine Freundin sagte: »Nee, Juli, das kannst Du jetzt nicht mehr abbrechen. Let's face it, Du bist doch schon im sechsten Monat damit.«
Dann war ich wie frisch verliebt in dieses Projekt, ganz euphorisch, und habe mich darüber gefreut, dass mir so viel zugeflog. Ich bin rausgegangen und habe Leuten davon erzählt, was ich da vorhabe. Deren Feedback zeigte mir: da bin ich etwas Heißem auf der Spur. Unter anderem habe ich mich ja auch mit Dir darüber unterhalten. Deine Reaktion war für mich wirklich ein Zünglein an der Waage. Durch diese ganzen Gespräche mit klugen Leuten hat das Ganze an Schärfe und Präzision gewonnen, hat eine enorme Eigendynamik entwickelt und vor allem eine Anziehungskraft. Und schwupp: innerhalb von kurzer Zeit ist bereits über ein Dutzend Leute an Bord gegangen, die mitwirken. Inzwischen kommen noch die 28 Kuratoren hinzu, einige der Gutachter und Juroren habe ich schon gewonnen …
Ich finde faszinierend, wie da so etwas in Gang kommt. Dass Leute mich aus eigenem Antrieb fragen, was es zu tun gibt und ob sie mitmachen können. Anfang dieser Woche mailte mir eine Illustratorin, dass sie das mit dem Ehrenpreis ganz fabelhaft fände und sich als frischgebackene Gastprofessorin als Jurorin andienen wolle.
Ja, so geht das jetzt. Eins kommt zum anderen. Das ist gut.
Sieht so aus, als wären alle, die davon etwas erfahren, auch ganz gespannt. Auf der einen Seite kann man es sich vorstellen, das Konzept ist da, auf der anderen …
Ich erinnere mich noch, wie mein erster Eindruck von Twitter war. Oder von der Pfingsttagung damals. In beiden Fällen hat mir jemand davon erzählt und dabei so ein Funkeln in den Augen gehabt. Ich war skeptisch. Bei Twitter habe ich mich dann aber einfach angemeldet und das kam für mich erst langsam ins Rollen. Und jetzt, nach dreieinhalb Jahren, bin ich da ständig, das hätte ich nicht für möglich gehalten. Als mir vor vielen Jahren jemand von der Pfingsttagung erzählte, hörte sich das für mich erstmal komisch an. Ich bin erst im folgenden Jahr hingefahren. Das war allerdings ein solches Erlebnis, dass ich seitdem anderen in glühendsten Farben davon vorgeschwärmt habe. Seither gehe ich auf die Pfingsttagung, ununterbrochen seit achtzehn Jahren, und mich reut dieses eine Mal, das ich schon früher hätte dort hätte sein können.
Der Ehrenpreis nun erschließt sich manchen offenbar schon im Vorfeld. Die riechen was, ahnen was, die spüren, dass da was prickelt. Ich kann nur hoffen, dass sich das fortsetzt. Dass es jetzt am Anfang auch Verwirrung und Unverständnis gibt, ist nicht schlimm. Erstmal machen, und trotz sorgfältiger Planung wird sich viel auch ergeben. Sich dem Tanz, dem neuen Spiel überlassen, gucken was passiert, darum geht es.
Neulich erzählte ich jemandem vom Ehrenpreis und mein Gegenüber hatte schon mehreres genannt, was er daran alles schwierig findet. »Frau Gudehus,« meinte er dann beinahe vorwurfsvoll, »Sie sind ja eine Optimistin.« Da stand vor mir dieses Glas, das war zufällig gerade halb voll. Das hob ich hoch, prostete ihm zu und sagte: »Ach, wissen Sie, für mich ist das Glas tatsächlich halb voll.« Dann nahm ich einen Schluck und schenkte mir nochmal nach.
Wenn ich mir jetzt in der Vorphase schon überlegen würde, wie böse Menschen sein können und was für einen Schabernack die treiben – da könnte ich mich ja gleich eingraben! Stattdessen schaue ich viel mehr darauf, was an Gutem passiert. Das ist mein Motor.
Wie sieht es denn mit der Finanzierung aus?
Zum Glück und leider habe ich über diesen Aspekt am Anfang nicht nachgedacht. Ich war komplett darauf ausgerichtet, das so zu konstruieren, wie es meiner Meinung nach optimal wäre. Die meisten existierenden Preise finanzieren sich über die Teilnahmegebühren, pro Arbeit meistens ein paarhundert Euro. Diejenigen, die das nicht so machen, sind Stiftungen mit eigenem Geld. Der Ehrenpreis hat weder selbst Geld noch nehmen wir Gebühren ein. Also sind wir komplett freischwebend. Das ist einerseits ein Riesenvorteil, weil wir wirklich unabhängig sind, andererseits ist das natürlich auf Dauer unhaltbar.
Wenn das Ganze irgendwann einmal eine Institution werden soll, wie etwa die Kindernothilfe oder ähnliches, dann brauchen wir große Sponsoren, die dafür sorgen, dass eine Handvoll von Leuten beim Ehrenpreis hauptberuflich arbeiten können. Auch für die Preisgelder, die es geben soll, brauchen wir Sponsoren. Und für die Arbeit, die wir in den letzten Monaten geleistet haben – einige von uns mehrere Tage, einige wochenlang und ich für meinen Teil arbeite seit Februar vollzeit für den Ehrenpreis.
Ich denke, dass eine solche Konstruktion möglich ist, sonst würde ich es gleich ganz bleiben lassen. Aber es wird auch nicht einfach sein. Vielen Firmen halten es für eine gute Sache, kulturelle und soziale Projekte zu unterstützen. Das was wir machen, ist zwar sowohl ein kulturelles als auch ein soziales Projekt, ist aber noch nicht etabliert und überhaupt ist auch nicht Usus, Design zu fördern. Wir werden uns da extrem ins Zeug legen müssen, um zu überzeugen.
Und wie ist der Zeitplan?
In Kürze lassen wir die offizielle Website vom Stapel. Bis Ende Februar können dort Vorschläge gemacht werden. Dann gibt es eine Pufferzeit von sechs Wochen, in der die Kuratoren die noch nicht publizierten Vorschläge abarbeiten können. Anfang April treffen die Gutachter ihre Wahl, Anfang Mai trifft sich die Jury und Ende Mai findet im Museum der Dinge die Preisverleihung statt.
Und das soll jährlich stattfinden.
Wie es dann weitergeht, ob es nach der Preisverleihung eine Pause gibt oder ob der nächste Reigen direkt danach eröffnet wird, das werden wir erst später entscheiden. Geplant ist auch eine Ausstellung, die natürlich auch mit Kosten verbunden ist. Vielleicht gibt es ja auch mehrere Ausstellungen, eine Wanderausstellung. Wir müssen einfach schauen. Überhaupt: was wird nächstes Jahr sein? Wir wissen es nicht. Jetzt geht es erstmal los.
Vollkommen unabsehbar ist auch, wieviele Vorschläge wohl kommen. Welche Qualität werden die Arbeiten haben? Wird das ganze Spektrum der Disziplinen ausgeschöpft? Schwer zu sagen.
Aber das Ende der Fahnenstange sieht auf jeden Fall immer gleich aus. Denn die Gutachter dürfen, egal wieviele Vorschläge kommen, immer nur maximal zwei Arbeiten nominieren. Wir verdonnern die aber nicht dazu, sich alles alles alles anzuschauen. Wenn ein Gutachter sich nur mit bestimmten Bereichen befassen will, zum Beispiel mit seinem Fach, dann ist er da vollkommen frei. Das ist wieder einer dieser Querschläger, von denen ich vorhin sprach: Man setzt in anderen Fällen voraus, dass wirklich jeder Urteilende jede Arbeit gesehen hat. Das wird hier aber nicht der Fall sein. Vermutlich wird es einen guten Querschnitt geben. Einige werden Ehrenpreis-Junkies sein, die schon von der ersten Stunde an abonnieren, dass sie jeden Vorschlag mitkriegen. Andere Gutachter werden erst an dem Tag, an dem sie offiziell dran sind, die Ärmel hochkrempeln und möglicherweise erschlagen sein von der Fülle. Die werden dann vermutlich ganz gezielt bestimmte Schlagwörter eingeben und gucken, was es dazu so gibt.
Wenn man für den Publikumspreis seine Stimme abgeben will, muss man dann Mitglied sein?
Du kannst auf unserer Seite alles anschauen und lesen. Aber kommentieren, Deine Stimme abgeben und Arbeiten vorschlagen kannst Du nur, wenn Du Dich registriert hast.
Mhm.
Auf der Website siehst Du unter »Beteiligte« alle, die sich schon registriert haben, und wenn Du Lust hast, kannst gleich mal gucken: »Hey, wer kommt denn hier auch aus Köln?«
Und dann gibt es Ehrenpreis-Stammtische.
Das kann ich mir schon vorstellen. In the long run. Meine Vision ist ja, dass wenn die Saat aufgeht, dass es irgendwann tatsächlich diese Veranstaltungsreihe gibt: »Reden über Gestaltung«. Darüber dachte ich Ende letzten Jahres schon nach. Eine Art Salon. Man würde sich einmal monatlich treffen, und dann bringt immer jemand etwas mit, über das er entweder wettert oder total begeistert erzählt, was an der Gestaltung aus seiner Perspektive so misslungen oder eben besonders gelungen ist. Und anschließende Diskussion mit dem Publikum. Also im Grunde eine Variante dessen, was beim Ehrenpreis stattfindet. Aber eben life und vielleicht auch später als Film auf YouTube und auf unsere Seite gestellt. So schließen sich weitere Kreise.
Vielleicht gibt es ja auch irgendwann Gestaltung als Schulfach. Ich kann mir auch so etwas vorstellen wie »Jugend gestaltet«. Warum auch nicht? Ich meine … »Jugend forscht« …
[lacht]
Und so weit ist das beides eigentlich auch nicht von einander entfernt.
An den Berliner Grundschulen gibt es Kunst nicht als Unterrichtsfach, sondern wurde durch noch mehr Mathematik ersetzt. Daran kann man erkennen, wohin die Reise geht …
Na toll.
Umso mehr braucht man den Ehrenpreis!
So lustig, wo Du das sagst. Mir ist ja erst sehr spät aufgefallen, dass ich an einem humanistischen Gymnasium war, das total unmusisch war. Da mussten wir um Kunst- und Musikunterricht geradezu betteln. Dafür war es eben sprachenorientiert. Da ich mich für Sprache interessiere, war ich da auf gewisse Weise also doch richtig. Auf jeden Fall eine interessante Vorstellung, wie ich mich entwickelt hätte, wenn ich an einer anderen Oberschule gewesen wäre.
Wenn Du mich nach meiner beruflichen und persönlichen Disposition fragst, die ich für dieses Vorhaben mitbringe, dann muss ich sagen: ich habe einfach überhaupt keine eindeutige Begabung und das ist vielleicht auch gut so.
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