11. Dezember 2016
fifty shades of beige
Beige ist der hidden champion unter den Farben. Nicht nur bei Kleidern von Senioren. Seniorenbeige hat sich auf beunruhigend unerbittliche Weise in den Köpfen breitgemacht. Aber man soll die Hoffnung auf eine andere Farbe nicht aufgeben.
Eine Wanderdüne, die den Kölner Dom umspült. Diesen Eindruck vermittle es im Luftbild, wenn Senioren aus Dormagen nach Köln pilgern und »der eigenen Zukunft durch einen Besuch im Hause des Herrn das Ungewissen zu nehmen hoffen«, so der Kabarettist Jochen Malmsheimer. Das Phänomen beige war 2012 der Regisseurin Sylvie Hohlbaum immerhin ein Kurzfilm wert. In ihm sagt der Soziologe Klaus R. Schroeter, dass für Rentner von heute beige früher etwas Außergewöhnliches und den Feiertagen vorbehalten gewesen sei und man im Ruhestand, der nicht mehr durch Arbeit gekennzeichnet sei, dann eben dazu neige, beige zu tragen.
Seniorenbeige ist nicht nur ein spezifisch helles, mattes, besonders farbloses Beige mit einem Stich ins Graugrün von Beamtenstuben der alten Bundesrepublik. Seniorenbeige ist vor allem eine derart herabsetzende Bewertung eines Farbtons, dass man davon ausgehen kann, dass alle, die heute über Seniorenbeige spotten, dann, wenn sie so alt sein werden wie die, die heute Seniorenbeige noch mit Überzeugung gerne tragen, andere Farben bevorzugen werden. Noch allerdings scheint beige ungebrochen attraktiv. Und auch für Fassaden wird beige gern gewählt. Aus eben jenen Gründen, deretwegen sich Senioren für beige Kleider entscheiden. Hell und vermeintlich freundlich, unempfindlicher als reines Weiß, das als eine auch für andere Generationen erkennbare Farbe der Festlichkeit im Beige noch als Absicht spürbar ist. Das fügt sich wiederum wunderbar zur neuen Freude am Naturstein, der dünn geschnitten vor die Wärmedämmung gehängt wird und Dauerhaftigkeit signalisiert. Egal wie neu das Haus ist, es soll so aussehen, als wäre es schon nach der Geburt ein respektabler Senior, ein ehrwürdiger Greis. Mit anderen Worten: Mit Beige macht man nichts falsch. Die Metapher von der Fassade als dem Kleid des Hauses ist selten so naheliegend. Und so aufschlussreich: Denn nichts falsch zu machen ist ein recht bescheidener Anspruch an gute Architektur. Wenn das schon als Qualität gilt, steht es schlimm um die Architektur. Wenn man von ihr erhofft, nicht aufzufallen, nicht mehr aufzubegehren, keine Experimente mehr zu wagen, keine unangenehmen Fragen mehr zu stellen. Wenn die Architekten keine Vorstellungen mehr davon zu haben brauchen, wie das Zusammenleben jenseits der eingespielten Routinen und Hierarchien noch sein könnte, jenseits der sozialen Schieflagen, mit denen man sich irgendwie arrangiert hat. Jenseits der Praktiken, die darüber entscheiden, wer eine Chance bekommt. Junge Architekten bekommen sie selten. Sie gelten noch als jung, wenn Kollegen in anderen Berufsfeldern schon zum Mittelbau oder zu den Etablierten gehören sollten. Es gibt inzwischen einfach zu viel ehrwürdige Greise und solche, die sich dafür halten. Aber nicht nur sie scheinen den Jungen nichts zuzutrauen oder sie nicht fördern zu wollen. Die öffentliche Hand, die Kommunen, die Länder, auch die Gesellschaften, die im Besitz der öffentlichen Hand sind – sie sind nicht die Ausnahme, die sie eigentlich sein sollten. Sie verhalten sich so, wie man sich verhält, wenn man ein spezifisch helles, mattes, besonders farbloses Beige mit einem Stich ins Graugrün von Beamtenstuben der alten Bundesrepublik für eine gute Wahl hält. Ohne Mumm. Ohne Begeisterung. Resopal in den Köpfen, Grünlinien im Sinn. Man ist nicht realistisch, indem man keine Ideen hat, hatten Lucius Burckhardt, Markus Kutter und Max Frisch 1955 geschrieben. Die Welt wird nicht bunt, wenn man alle Farben zusammenrührt und sie mit Weiß solange aufhellt, bis Beige dabei herauskommt. Man wird seiner Verantwortung nicht gerecht, wenn man sich hinter Verordnungen versteckt. Aber es ist ja noch schlimmer: Die Zugangsbeschränkungen werden ja in einem überrundenden Gehorsam weitaus höher gesteckt, als sie sein müssten: Hosenträger, Gürtel und Gummizug. Man weiß ja nie. Vielleicht ist das Sicherheitsdenken der Verwaltung aber auch nur Ausdruck der Ängstlichkeit von Politikern, deren Ängstlichkeit Ausdruck der Ängstlichkeit derer ist, die sie gewählt haben. Und die Politiker bedienen sie ja gerne, diese Ängste, denn die Rentner sind eine wichtige Wahlklientel, und um sicher zu gehen, machen sie ihnen solange Angst, bis sie sie selbst bekommen. Siehe Boris Johnson. Die Rentner und Senioren, beige oder nicht, haben, wie man im nicht mehr einigen Königreich sehen konnte, auch kein schlechtes Gewissen, mit ihrer Entscheidung den Jungen die Zukunft zu verbauen. Das ist alles andere als ehrwürdig. Es ist bei uns nicht besser, nur, weil wir keine EU-Abstimmung durchgeführt haben.
Die BDA Landesverbände aus Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland haben gemeinsam den BDA Architekturpreis »max40 – Junge Architekten« ausgelobt. Die Urheber der eingereichten Projekte durften nicht über 40 sein. Für die Ausstellung und den Katalog hat man 14 Arbeiten ausgesucht. Drei der 14 Bauherren stellt die öffentliche Hand. Die privaten scheinen also mutiger. Aber es sind zu wenige. In den fünf Ländern sind laut Kammerstatistik von den bundesweit 47.000 frei schaffenden Architekten etwa die Hälfte tätig: 24.000. 37 eingereichte Arbeiten von 37 Büros hatte die Jury zu bewerten. Bevorzugtes Material: Holz. Farblich beunruhigend nahe an Beige? Nicht, wenn man es in Würde und natürlich altern lässt: wenn man es – genau – ergrauen lässt.
0 Kommentare
Neu hier? Dann erst registrieren