14. März 2014

Christian Holl

Pilzkrankheiten

Es gibt Dinge, die die Welt nicht braucht, die aber wenigstens keinen Schaden anrichten. Und es gibt Heizpilze.

Ob man denn den Garten heizen wolle, lautete in grauer Vorzeit die Frage, wenn man bei laufender Heizung lüftete. Das war zwar, nachdem die erste Ölkrise und autofreie Sonntage die Menschen aus dem ökologischen Wachkoma geholt haben. Dennoch mutet die Ermahnung, Fenster und Türen des Raums, den man beheizt, geschlossen zu halten, heute recht antiquiert an. In pädagogischen aufgemachten, also ziemlich langweiligen Filmchen wurde früher dem Verbraucher nahegelegt, beim Wasserkochen mit dem Deckel den Topf zu schließen. Beim Scheibenkratzen nicht schon den Motor laufen zu lassen. Die Waschmaschine nur gut befüllt anzuwerfen. So in der Art. Man hat Korken und Aluminiumfolie fürs Recycling gesammelt. Das alles wirkt heute recht niedlich. So wie der Aufruf, bei Feinstaubalarm doch bitte mit der Straßenbahn zu fahren. Heute sammelt man Korken vielleicht noch für die Bastelrunden im Kindergarten. Wer geglaubt hat, dass sich verantwortungsvoller Umgang mit Energie durchsetzen werde, weil ja der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen sei, hat in etwa die Prognosefähigkeit von Kaiser Wilhelm II. Der meinte bekanntlich, das Automobil sei eine vorübergehende Erscheinung – er glaube an das Pferd. Die Autos sind so groß und zahlreich wie nie zuvor, an gut befahrenen Straßen lässt sich zu jeder Zeit binnen kurzem die Vermutung bestätigen, dass in fast jedem Auto nur eine Person sitzt. Und so geht es weiter: Etwa jeder dritte Deutsche kaufte sich 2015 ein neues Smartphone. Die Menschen trinken en masse »Coffee to go«, und jeder Wegwerfbecher bekommt einen Wegwerf-Kunststoffdeckel. Mit Wasser verflüssigte Seife wird in Plastik verpackt und teurer verkauft als jede Hartseife. Flüssigseife kostet mehr im Transport und ist schneller verbraucht. Damit das ökologische Gewissen beruhigt ist, kauft man Flüssigseife in Nachfüllpackungen – absurder geht es nicht. Nix Effizienz, Suffizienz oder Resilienz. Nix Vernunft, nix Begabung.  

Die Flüssigseife der Fußgängerzonen

Derzeit wieder aktuell: Heizpilze. Ihr Energieverbrauch ist enorm. Ein Heizpilz produziert im regelmäßigen Einsatz etwa soviel Kohlendioxid wie die Heizung eines (gedämmten) Einfamilienhauses. Der Gastronom schafft ihn sich an, damit die Raucher beim Rauchen nicht frieren, aber vor allem, weil es bei uns im März nicht so warm wie in Barcelona ist. Und so setzen wir uns unter die Heizpilze, um uns wenigstens ein bisschen mediterran zu fühlen. Vermutlich handelt es sich um einen tiefsitzenden Minderwertigkeitskomplex gegenüber den Mittelmeerländern, also gegenüber jenem vermeintlichen Paradies, wo angeblich alle Menschen Lebenskünstler sind, Urbanität nicht nur ein Marketingwort ist, es einen angeborenen Sinn für Schönheit gibt und was dergleichen folkloristische Klischees mehr sind. Wer einen Sinn für Schönheit hat, müsste Heizpilze sowieso verbieten, Lebenskünstler wird man, wenn einen das Schicksal dazu zwingt und nicht aus Selbstverwirklichungsspaß. So schlecht ist das Wetter bei uns nun auch wieder nicht, dass man vor lauter Verbitterung glauben muss, es gäbe nur schlechte Kleidung respektive zuwenig Heizpilze.

In wenigen Städten sind sie immerhin verboten, mancherorts dürfen sie nur zu bestimmten Zeiten genutzt werden. Aber das gilt nur für Gastronomiebetriebe und öffentliche Einrichtungen. Ein privates Verbot sei rechtlich nicht durchsetzbar, heißt es. Warum eigentlich nicht? Es gibt Dosenpfand. Es gibt die Dieselrußpartikelfilterpflicht. Und es gibt die EnEV. Die gilt ja auch nicht nur in Gastronomiebetrieben und öffentlichen Einrichtungen. 

Besser wäre es natürlich, es den Menschen selbst zu überlassen, wo und wie sie sparen. Jeder bekäme ein paar Kilo Kohlendioxid zum Verbrauch gutgeschrieben, wofür er sie einsetzte, wäre sein Bier. Wer keinen Heizpilz hat, darf einen Kleinwagen fahren. Wer keinen Kleinwagen fährt, darf sich einen Heizpilz kaufen oder sein Haus heizen. Wer sein Bad nicht heizt, darf Flüssigseife verwenden. Wer weder Kleinwagen hat, noch Flüssigseife benutzt, noch einen Heizpilz sein eigen nennt, ist von der Einhaltung der EnEV befreit: Drei Ecken ein Elfer. Wer glaubhaft nachweisen kann, dass er an das Pferd und nicht an das Auto glaubt, darf jedes Frühjahr nach Barcelona reisen. Hätte man das schon in grauer Vorzeit so gehandhabt, wäre uns sicher so einiges erspart geblieben. 

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Heizpilze treten als biedere Wohnzimmerlampe, verwegener Mexikaner, in Rudeln oder als spanischer Grande auf. Hessen will bis 2050 klima-neutral sein. Dafür müsste man den Kohlendioxidausstoß um 90 Prozent senken. Vielleicht fängt man damit an, Heizpilze aus dem Verkehr zu ziehen. Wer dennoch draußen sitzen will, kann ja mehr Glühwein trinken
Heizpilze treten als biedere Wohnzimmerlampe, verwegener Mexikaner, in Rudeln oder als spanischer Grande auf. Hessen will bis 2050 klima-neutral sein. Dafür müsste man den Kohlendioxidausstoß um 90 Prozent senken. Vielleicht fängt man damit an, Heizpilze aus dem Verkehr zu ziehen. Wer dennoch draußen sitzen will, kann ja mehr Glühwein trinken