sanierte Turnhalle mit Blick auf den Sportplatz, die textile Deckenverkleidung dient vor den Fenstern auch als Blendschutz
sanierte Turnhalle mit Blick auf den Sportplatz, die textile Deckenverkleidung dient vor den Fenstern auch als Blendschutz
Backsteinmauern sichtbar belassen, die notwendige Technik (Leuchten, akustische Maßnahmen etc.) hinter einer textilen Decke
Backsteinmauern sichtbar belassen, die notwendige Technik (Leuchten, akustische Maßnahmen etc.) hinter einer textilen Decke
neugestalteter Umkleideraum der Jungen mit Duschen und Waschbecken in einem freistehenden Raum im Raum
neugestalteter Umkleideraum der Jungen mit Duschen und Waschbecken in einem freistehenden Raum im Raum
Außenansicht der sanierten Halle mit der Holzverkleidung, die Bestand und neue Bauteile zusammenbindet
Außenansicht der sanierten Halle mit der Holzverkleidung, die Bestand und neue Bauteile zusammenbindet
der neu erbaute Laubengang, der Schule und Turnhalle verbindet
der neu erbaute Laubengang, der Schule und Turnhalle verbindet
hinter den Lärchenholzleisten der Fassadenverkleidung sind farbige Lineaturen auf dem ausgebesserten WDVS-Putz sichtbar
hinter den Lärchenholzleisten der Fassadenverkleidung sind farbige Lineaturen auf dem ausgebesserten WDVS-Putz sichtbar
Abendansicht der neuen Glasfassade der sanierten Turnhalle – alle Fotos: Jan Bitter
Abendansicht der neuen Glasfassade der sanierten Turnhalle – alle Fotos: Jan Bitter
2012

Turnhalle auf dem Tempelhofer Feld

Gestaltung

ludloff+ludloff Architekten BDA

Pate

Christian Holl

Kategorie

weniger ist mehr

vorgeschlagen am

20. November 2012

Plädoyer

​Ich möchte die sanierte Turnhalle der Grundschule auf dem Tempelhofer Feld für den Ehrenpreis vorschlagen, weil ihr etwas viel zu selten zu Findendes gelungen ist: Mit hohem Respekt für die Architektur der Nachkriegszeit greift sie sensibel in den Bestand ein, verbessert die Nutzbarkeit der Halle, erneuert die Verbindung zum Hauptgebäude und die Einbindung in den Gesamtkomplex. Die Architekten stellen mutig die scheinbar so selbstverständlichen Notwendigkeiten einer energetischen Sanierung in Frage. Der Geist dieser Architektur ist für das Heute wieder belebt. Sie vermittelt wieder die Zukunftshoffnung aus der Zeit, in der sie entstanden ist.

Die zunächst auf eine energetische Sanierung der Turnhalle aus den frühen 1950er Jahren reduzierte Aufgabe stellte eine inzwischen durchaus übliche Herausforderung: Ein Haus aus der jungen Nachkriegszeit galt es so zu sanieren, dass das Wesen der Architektur nicht leidet – nicht einfach bei der zwar leichten und eleganten, aber unter den Nöten der Nachkriegszeit mit einfachen Mitteln realisierten Architektur, die schon einmal mit einer acht Zentimeter starken Dämmschicht und neuen Fenstern saniert wurde. Je mehr im Zuge der Arbeiten offensichtlich wurde, dass mehr getan werden musste, als ursprünglich gedacht, desto wichtiger wurde es, die energetische Sanierung als eine sensible Erneuerung der architektonischen Erscheinung zu verstehen, gerade weil die Halle nicht unter Denkmalschutz steht.

Dabei half, dass den Architekten ein anderer Aspekt wichtig war, der bei energetischen Sanierungen oft nicht berücksichtig wird: Es sollte nicht allein der Energieverbrauch minimiert werden, es sollte vielmehr bedacht werden, welche Energie benötigt wird, um Materialien herzustellen und zu entsorgen. Deswegen wurde die alte Dämmung nicht entfernt, um durch eine andere ersetzt zu werden – im Sinne ganzheitlicher Betrachtung wäre ein Austausch der Dämmung unsinnig gewesen: Um Energie zu sparen, hätte erst wieder Müll erzeugt werden müssen, hätte Material entsorgt werden müssen, dessen Herstellung bereits Energie verbraucht hatte. Nicht nur hierin beachteten die Architekten die Langzeitperspektive: Es wurden wo möglich nachwachsende, sortenreine oder recyclebare Baustoffe eingesetzt; auch die Entscheidung, dass alle Materialien, soweit man das heute ermessen kann, wieder voneinander in Einzelkomponenten getrennt werden können, ist in Verantwortung gegenüber der Zukunft getroffen worden. Anstatt also die Halle einfach neu zu dämmen, wurde das (zuvor undichte) Dach neu gedämmt, auch gegen das Erdreich konnte dank eines bestehenden Kriechkellers isoliert werden. Schließlich wurde die bislang bis auf ein hochgelegenes Lichtband geschlossene Westfassade geöffnet. (Schul-)Sport mit Blick ins Freie macht mehr Spaß, eine neue Holz-Glas-Fassade verbessert nun auch die Energie-Kennwerte. Dazu kommen eine kontrollierte Frischluftversorgung mit Wärmerückgewinnung und Sonnenkollektoren zur Warmwasserbereitung.

Eine leichte, mit dopplellagigem Glasfasergewebe bespannte Konstruktion erlaubt es, unter der alten Decke technischen Einbauten und Akustikelemente offen und trotzdem ballwurfgeschützt einzubauen – man hätte die bestehende Decke kaum zusätzlich belasten können. Die Sanitärbereiche wurden entkernt, Duschen und Waschtische offen angelegt. Helle Pastelltöne und farbiges Glasmosaik setzten neue Akzente, die gut mit dem Bestehenden harmonieren. Der Eingangsbereich wurde übersichtlicher, die Turnhalle ist wieder gut zu nutzen. Licht und hell erzählt sie von der Freude an der Bewegung, betont nicht das Materielle sondern nutzt die Leichtigkeit des Stoffes, um Unbeschwertheit im Sinne des Wortes zu vermitteln und die Gedanken an eine Zeit zu vertreiben, in denen Schulsport noch mit Disziplinierung verbunden wurde. Die Turnhalle strahlt heute mit der Hoffnung der Aufbruchsstimmung, in der sie errichtet wurde: ihr Geist wurde erfrischt.

Auch der Außenraum wurde aufgewertet. Eine neue, zum Innenbereich offene Pergola verbindet das Schulhaus mit der Turnhalle, sie ersetzt einen marode gewordenen gedeckten Zugang aus der Entstehungszeit. Robuste Bretter aus Zedernholz schirmen nach außen ab, ohne gänzlich zu trennen; diese Konstruktion fasst nun auch die geschlossenen Hallenwände ein, fungiert dort nebenbei auch als passabler Graffiti-Schutz. Dahinter ist der Putz neu mit Farbstreifen gestrichen, die durch die Holzkonstruktion schimmern. Weder wird der Umbau aufwändig inszeniert, noch das Alte fetischisiert, sondern durch das Neue belebt, es wird zugänglich und muss nicht beweisen, dass es selbstverständlich ist, dass es sich lohnt, es zu achten.

Beschreibung

​Ort und Substanz

Die Turnhalle entstand im Zuge der Neuerrichtung der Schule auf dem Tempelhofer Feld und gehörte zu den sanierungsbedürftigen Gebäuden der späten fünfziger Jahre, die den Sprung zum Einzeldenkmal nicht geschafft haben, obwohl ihre Konstruktion und Gestaltung mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln eine überraschend sinnliche Leichtigkeit ausstrahlte, die den Glauben an einen politischen Neuanfang nicht besser transportieren könnte.

Entwurfsansatz

Die Bauaufgabe bestand aus der energetischen Sanierung und der Erweiterung der bestehenden Turnhalle bei Unterschreitung der aktuellen EnEv um 20 Prozent, gleichzeitig sollte der »leichte« Charakter des Gebäudes wiederhergestellt werden. Unser Entwurfsansatz denkt über den energetisch optimierten Gebäudebetrieb hinaus und gelangt so zu einer energetischen Gesamtbetrachtung. Sanierungen konzentrierten sich bisher vornehmlich auf den Energieverbrauch im Betrieb eines Gebäudes. Gerade bei Gebäudesanierungen wird deutlich, dass jeder Abriss und Rückbau mit Ressourcenvernichtung einhergeht. Grundsätzlich sollte die im Baumaterial gebundene »graue Energie«, also die benötigte Energie zur Herstellung und über die Nutzungsdauer bis zur Entsorgung benötigte Energie eines Bauprodukts, in die energetische Betrachtung integriert werden. Auf dieser konzeptionellen Grundlage haben wir die Turnhalle auf dem Tempelhofer Feld saniert, die Auswirkungen des Konzepts beziehen sich sowohl auf den Umgang mit der Substanz, als auch auf alle hinzugefügten Materialien. Alle Konstruktionen wurden so geplant, dass nach Ablauf ihrer Lebenszeit eine sortenreine Trennung der Einzelkomponenten und eine Entsorgung oder Wiederverwertung nach heutigem Kenntnisstand auf einfachem Wege möglich ist. Diese Entwurfsstrategie, die den Faktor »graue Energie« berücksichtigt, führte zwangsläufig zu einer neuen »Gebäudetypologie«. Der Umbau und die Sanierung der Turnhalle veranschaulicht die Bezüge energetischer und gesellschaftspolitischer Fragen und hilft die in Teilen verschütteten Qualitäten des Gebäudes wiederherzustellen und mit dem Wissen aktueller Raumerfahrungen zu überhöhen.

Energie

Die Herausforderung bestand für uns darin, die Maximierung des Komforts bei gleichzeitiger deutlicher Reduzierung des Energiebedarfs im Betrieb des Gebäudes und der Berücksichtigung von gebundener Energie. Durch die Behandlung der Hüllfläche, der Konstruktion und die Materialwahl wurde das Gebäude so gestaltet, dass sich durch sein »passives Verhalten« bereits ein gutes Innenklima einstellt. Weiterführende Maßnahmen, zum Beispiel die kontrollierte Lüftung einzelner Nutzungsbereiche, wurden gezielt für eine optimale Luftqualität eingesetzt. Dabei kam bei allen Bestandsbauteilen der Abwägung des Erhalts und der Ertüchtigung unter dem Aspekt des energetischen Gesamtlebenszyklus’ eine wichtige Rolle zu. So wurde die bereits bestehende Dämmung nach eingehender bauphysikalischer Prüfung in Teilen bewusst erhalten, auf eine Entsorgung konnte verzichtet werden. Das Gesamtgebäude weist insgesamt einen erhöhten Dämmstandard auf. Dabei wurden für die Neukonstruktionen nachwachsende Rohstoffe oder, wo dies nicht möglich war, nur sortenreine und recyclefähige Rohstoffe eingesetzt. Der zweite Schritt bestand darin, durch die Nutzung regenerativer Energiequellen wie Solarkollektoren für die Wasseraufbereitung, die Nutzung vorgewärmter Luft aus Nebennutzflächen zur Konditionierung der Hauptnutzflächen und der Möglichkeit der Nachtlüftung für den Hallenbereich, den Einsatz fossiler Brennstoffe auf ein Mindestmaß zu reduzieren.

Sichtbarkeit der Schichtung, Innenbereich

Nach dem Rückbau großer Teile der Innenverkleidungen wurde die filigrane Tragstruktur des Gebäudes sichtbar. Neubauteile wurden aufgrund fehlender Tragwerksreserven der Deckenkonstruktionen gewichtsoptimiert. Dies führte unter anderem zum Einbau einer ballwurfsicheren Spanndecke auf einer Metallrahmenkonstruktion aus Glasgewebe. Alle technischen Einbauten, sowie die Akustikelemente konnten ballwurfgeschützt oberhalb der Spanndecke eingebaut werden, gleichzeitig bleibt die Struktur der Konstruktion ablesbar. Nach dem Freilegen der leichten Staka-Systemdeckenkonstruktion der Hallenanbauten wurden diese in Teilbereichen ertüchtigt und als Lichtreflektor nutzbar gemacht. Nach Entkernung der Sanitärtrakte wurden neu installierte Dusch- und Wascheinheiten als offene Fliesenkörper in die Umkleideräume eingestellt.

Sichtbarkeit der Schichtung, Außenbereich

Die Fassaden wurden im Verlauf der Geschichte des Gebäudes mehrfach überformt. Nach umfassenden bauphysikalischen Berechnungen des Gesamtgebäudes und unter Bewertung der gebundenen »grauen Energie« war es gesamtenergetisch sinnvoller, die vorhandene Fassadendämmung aus Polystyrol mit 8 cm zu erhalten, als diese zu entsorgen und durch eine dickere Dämmung zu ersetzen. Das vorhandene Wärmedämmverbundsystem wurde nur ausgebessert und stabilisiert, zur optischen Egalisierung erhielt der patchworkartig ausgebesserte Bestandsputz einen Anstrich mit Linien aus unterschiedlichen Farbfamilien. Eine Fassade aus Holzstäben, die sich als weitere Schicht in Form eines Paravents um diese gewachsene Struktur legt, führt die Zeitspuren der baulichen Geschichte des Gebäudes zusammen. Im Zusammenwirken der farbigen Linierungen und der Struktur der Holzstäbe entsteht eine optische Entgrenzung des Baus, der sich so, auch nach fünfzigjährigem Bestehen, ganz neu in den gewachsenen Baumbestand einfügt. Der Paravent macht sich als Teil des Laubengangs von der eigentlichem Halle unabhängig, dadurch gelingt es auf einfachste Weise Neu- und Altbauteile, sowie die Außenanlagen unter Erhalt der vorhandenen Strukturen zu einem Gesamt-Ensemble zusammenzuführen.

Details

Entstehungsjahr

2011

realisiert

Ort

Schulenburgring 7–11
12101 Berlin
Deutschland

initiiert von

Beteiligte

Schlagwörter

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