2013
Die Weite des Blicks – Erinnerungen aus der Stadt der Zukunft
Gestaltung
Pate
Kategorie
vorgeschlagen am
24. Juni 2013
2 T
Plädoyer
Die Serie hat mich berührt, besonders die Portraits der älteren Frauen, so authentisch und dadurch emotional aufgeladen. Auch die Bilder der Plattenbauten zeigen, wie verlassen und einsam dieser zu DDR-Zeiten sicherlich belebte Stadtteil heute wirkt.
»Ein Bild sagt mehr als tausend Worte« – ich finde, das trifft auf diese Fotoreihe zu. Anja Weber fotografiert die Menschen so wie sie sind. Jedes Portrait scheint deren innere Schönheit hervorzuheben, ohne sie zu »verschönen«. Anja Weber hat das Geschick, das Authentische auf eine ansprechende Art und Weise zu zeigen. Das Gleiche trifft auf die Bilder der Umgebung zu. Ihr Auge sieht eine reale Welt und doch hat sie etwas Fantastisches.
Diese Fotoserie verdient für mich einen Ehrenpreis in der Kategorie »Begleiterscheinung«. Es ist ein Blick aus einer anderen Perspektive, die zeigt auf fast skurrile Weise, was in unserem Land war und was gerade passiert: dass das Leben sich für viele Menschen in den Randgebieten gravierend verändert hat. Dass diese Gebiete und ihre Bewohner vereinsamen. Es entstehen Geisterstädte in denen soziale Kontakte vernachlässigt werden.
Beschreibung
Halle-Neustadt, ab 1963 als Schlafstadt für die Chemie-Industrie-Standorte Leuna und Buna geplant, war die »Stadt der Zukunft«, eine sozialistische Vorzeigestadt mit allem, was als Annehmlichkeiten des modernen Lebens begriffen wurde: Fernheizung, warmes Wasser, Innen-WC, Kinderbetreuung vor der Haustür. 1964 zogen die ersten Bewohner ein, Ende der 1980er Jahre lebten 100.000 Menschen in Halle-Neustadt, das Planziel war erreicht. Dann kam die Wende und mit dem Wegfall der Chemie-Industrie gingen auch die Menschen. Heute ist die Bevölkerung auf etwa 45.000 geschrumpft, die Altersstruktur hat sich umgekehrt: betrug 1970 das Durchschnittsalter 23 Jahre, ist heute jeder zweite Neustädter im Rentenalter.
Meine Arbeit »Die Weite des Blicks« ist der Versuch eines Portraits des Stadtraums und seiner Bewohnerinnen. Ausgangspunkt für meine Fotografien waren persönliche Begegnungen mit langjährigen Bewohnerinnen Halle-Neustadts. Erstmalig traf ich die Mitwirkenden in den zahlreichen Seniorenzentren der Stadt – denselben Räumen, die ehemals als Kindertagesstätten genutzt wurden. Es handelte sich dabei überwiegend um Frauen. In Interviews erzählten sie über ihr früheres und heutiges Leben in der Stadt und ihre persönliche Nutzung des öffentlichen Raumes. In den Gesprächen wurde schnell klar, dass ihr Bild von Halle-Neustadt wenig mit dem gemein hat, was sich mir als ortsfremder Besucherin 2004 als erster Eindruck vermittelte. Die gelebte Erfahrung der Seniorinnen manifestiert sich in ihrem gegenwärtigen Blick auf die Stadt.
Fotografisch versuchte ich, mit den durch die Interviews gewonnenen Eindrücken die heutige Stadt zu betrachten – sie nicht nur als sichtbare (Ober)fläche zu begreifen, sondern vielmehr die Erzählungen über den gelebten Raum mitschwingen zu lassen. Meine Fotografien entstanden mit einer Fachkamera, wie sie häufig für die Architekturfotografie benutzt wird. Bei einer Fachkamera ist es möglich, stürzende Linien auszugleichen und Aufnahmen mit großer Schärfentiefe zu machen. Als Analogie zum subjektiven Blick der Frauen auf ihre Stadt nutzte ich die Kamera hier in der Form, um die spezifischen Schärfen und Unschärfen in den Bildern zu realisieren. Bei den Portraits im neutralen Setting versuchte ich mich auf Gesicht und Ausdruck zu konzentrieren, der Blick der Portraitierten ist in die Ferne gerichtet.
»Die Weite des Blicks« ging hervor aus dem Arbeitsbuch »Subjektive Landschaften« (zusammen mit Saskia Hebert und Sanja Utech), einem Beitrag zum Ideenwettbewerb »Schrumpfende Städte« der Bundeskulturstiftung und der Zeitschrift Arch+. »Subjektive Landschaften« kam in die engere Wahl des Wettbewerbs. Die Arbeit wurde im Dezember 2004 gemeinsam mit den anderen Finalisten im DAZ Berlin gezeigt und im Mai 2005 im Magazin Arch+ 173 publiziert.
Details
Entstehungsjahr
2004
realisiert
weitere Angaben
13 Fotografien, davon 4 Portraits und 9 Aufnahmen im Stadtraum4 Texttafeln
Material:
C-Prints, Alu-Dibond, gerahmt
Maße Bilder:
40 x 50 cm
bis 100 x 135 cm
Maße editierte Interviews der portraitierten Frauen:
20 x 50 cm
initiiert von
Beteiligte
- Saskia Hebert, Architektin, Stadtforscherin, Konzeption, Interviews
- Sanja Utech, Architektin, Assistenz, Gestaltung Arbeitsbuch
- Frau Kicinski, Frau Luther, Frau Reinicke, Frau Taraba u.a., Interviewpartnerinnen
Schlagwörter
- Erinnerung
- Fotografie
- gelebter Raum
- Halle-Neustadt
- Interviews
- Neustadt-Halle
- öffentlicher Raum
- Plattenbauten
- Raumwahrnehmung
- Schrumpfende Städte
- Stadtplanung
- Subjektive Landschaften
- Vorstadt
- IMAGO – die begehbare Kamera - 1 Schlagwort Übereinstimmung 8%
- Same same – but different. Ein serielles Porträt von Familien in Kenia - 1 Schlagwort Übereinstimmung 8%
- Nachtstücke - 1 Schlagwort Übereinstimmung 8%
- Global Faces of the Madonna - 1 Schlagwort Übereinstimmung 8%
- Berg / Die Erhabenheit - 1 Schlagwort Übereinstimmung 8%
Neu hier? Dann erst registrieren