Kreuzung 1: Weinglas x Schnapsglas
Kreuzung 1: Weinglas x Schnapsglas
Kreuzung 2: Teeglas x Ikea-Trinkglas
Kreuzung 2: Teeglas x Ikea-Trinkglas
Kreuzung 3: Saftglas x Cognacglas
Kreuzung 3: Saftglas x Cognacglas
Kreuzung 4: Ikea-Glas x Cognacglas
Kreuzung 4: Ikea-Glas x Cognacglas
Kreuzung 5: Ikea-Glas x Weinglas
Kreuzung 5: Ikea-Glas x Weinglas
infografische Darstellung der Kreuzung
infografische Darstellung der Kreuzung
infografische Darstellung der Kreuzung
infografische Darstellung der Kreuzung
2012

Crossthings. Frei nach Mendel

Gestaltung

Florian Renschke – Drei meiner Kollegen

Pate

Hannes Herold

Kategorie

ah und oh

vorgeschlagen am

18. Dezember 2012

Plädoyer

In dem bekannten platonischen Dialog mit Parmenides ist sich der junge Sokrates sehr sicher, dass es zwar die Idee des Guten und überhaupt nobler Dinge geben muss, nicht aber Ideen von derart unnützen und heruntergekommen Dingen wie Müll oder Kot. Als ich die Arbeit »Crossthings« von Florian Renschke sah, kamen mir die ausgestellten Gläser auf den ersten Blick wie Mutationen vor. Ich musste an verrückte Wissenschaftler mit wirren weißen Haaren denken, die mittels kruder Experimente unschuldige junge Damen in bestialische Freaks verwandeln. Erst nachdem ich die Infografiken der Dokumentation studiert hatte, war ich beruhigt, zu wissen, dass hier alles mit rechten Dingen zugeht: Die merkwürdigen Formen und Auswüchse dieser Gläser sind kein Wildwuchs, sondern Ergebnisse einer logischen, nachvollziehbaren Regel.

Ohne es zu bemerken, musste sich dabei ein Gedanke in meinem Kopf verfangen haben, der mich seitdem beschäftigt. Der Untertitel der Arbeit lautet »Frei nach Mendel«, und ich erinnerte mich blass an langweilige Biologie-Stunden, in denen uns die Vererbungsregeln beigebracht wurden. Aber irgend etwas war bei diesen Gläsern anders, und als mir klar wurde, was das ist, fasste ich den Entschluss, »Crossthings« für den Ehrenpreis vorzuschlagen.

Florian Renschke verwendet die Mendelschen Vererbungsregeln, um etwas Neues herzustellen. Dazu eignen sich diese Regeln besonders gut, weil sie nicht zwischen noblem Fortschritt und unnützer Mutation unterscheiden. Wenn der junge Sokrates jenen untauglichen Hybrid aus Wein- und Schnapsglas gesehen hätte, er hätte ihn wahrscheinlich auf den Müll geworfen; das Diplomprojekt von Herrn Renschke hätte er durchfallen lassen und wäre sicher nicht auf die Idee gekommen, es für einen Designpreis vorzuschlagen. Das spektakuläre an »Crossthings« sind nun aber nicht die Gläser oder die Infografiken allein, sondern die Interpretation einer logischen Regel als Gestaltungsprinzip. Denn die Arbeit im Ganzen gibt eine Antwort auf die Frage, wie es überhaupt möglich ist, dass etwas Neues entsteht, und diese Antwort ist so einfach wie verblüffend: Neue Dinge entstehen durch die logische Kombination von unterschiedlichen alten Dingen. Es sind also durchaus Gläser, aber eben vollkommen neue. Mir gefällt dieser Gedanke, weil er den platonischen Ideenhimmel Himmel sein lässt und zugleich die kreativen Ideen der Designer als Neuschöpfungen anerkennt.

Übrigens sind die Mendelschen Regeln nicht der Code der Neuschöpfungen schlechthin. Sie bilden lediglich eines von vielen möglichen Innovationsgesetzen. »Crossthings« zeigt auf, dass es solche Gesetze gibt und wie der Prozess der Neuschöpfung konkret funktioniert, wenn ein bestimmtes Gesetz angewendet wird.

Beschreibung

Kann man die Mendelschen Vererbungsregeln auch als Regeln in der Gestaltung beziehungsweise im Design anwenden? Kann man ein Schnapsglas mit einem Weinglas kreuzen? Kann man das Mercedes-Benz Logo mit dem Deutsche Bank Logo zu etwas neuem kombinieren, kann man einen Gartentisch mit einem Ikea-Esstisch verbinden, oder kann man eine Salami mit einer Mortadella kreuzen?

Diese Fragen stellten sich mir durch die Recherche zu meinem Diplomthema »Evolution«. Während der Recherche bin ich auf die Mendelschen Vererbungsregeln gestoßen.

Mendel hat Grundlagenforschung im Bereich der Vererbung betrieben und hat, noch heute gültige, Regeln aufgestellt. Auffallend ist, dass Mendel in seinen Versuchsreihen überwiegend mit visuellen Parametern gearbeitet hat. Vielleicht sind gerade deshalb die bekannten Vererbungstafeln so einprägsam und leicht verständlich. Ein bekanntes Beispiel sind seine Untersuchungen zu den unterschiedlichen Merkmalen von Erbsen in Bezug auf Farbigkeit und Form. Mendel hat aber auch die Blütenfarbe und Form von Vergissmeinnicht untersucht.

Bevor ich auf die Vererbungsregeln von Mendel stieß, habe ich mich mit der Fragestellung der stetigen Weiterentwicklung beschäftigt. Wie sehr lassen wir uns davon leiten, immer alles optimieren zu müssen? An welchem Punkt geht es nicht mehr weiter? Wann ist ein Logo richtig und perfekt? Und warum ist es das in fünf Jahren vielleicht nicht mehr? Gibt es Bereiche oder Kulturen, die sich dem Gedanken der stetigen Weiterentwicklung entziehen? Ist das Perfekte immer das Interessanteste?

Diese Fragestellungen waren für mich bei der weiteren Recherche und der Vertiefung in das Thema wichtig und ausschlaggebend. Und ich habe mich dem Thema sehr bildhaft genähert und die biologischen Aspekte der Evolution weniger beachtet. Es ging mir um den Begriff der »Entwicklung«, der oft auch mit dem Wort »Evolution« beschrieben wird. Wie in vielen anderen Disziplinen geht es auch im Design oft um die Frage: Wie kann ich etwas ganz neu darstellen, so wie man es noch nie gesehen hat. Auch als Designer, beziehungsweise Gestalter, muss man sich entwickeln und steht immer wieder vor neuen Themen und Aufgaben, die man visuell und konzeptionell bewältigen muss. Der eigene Anspruch, immer etwas komplett neues zu entwerfen und gleichzeitig zu wissen, dass es das komplett Neue nicht gibt, macht die Sache meist so schwierig.

Aber vielleicht kann man auch Neues im schon Vorhandenen entdecken. Um das herauszufinden, habe ich die Mendelschen Regeln als Design- und Gestaltungsregeln angewendet und Versuche durchgeführt.

Exemplarisch habe ich die Regeln mit verschiedenen Trinkgläsern durchgespielt, so dass ich jetzt sagen kann: Ja, man kann ein Schnapsglas mit einem Weinglas kreuzen und man kann auch ein Cognacglas mit einem Ikea-Glas kreuzen. Einige Ergebnisse sind sogar ganz ansehnlich, andere wirken eher unproportioniert, oder sehr skurril. Die visuell überraschendsten Ergebnisse erzielte ich mit der intermediären Vererbungsregel. Durch das Verschmelzen zweier Formen ergibt sich eine neue Form, und plötzlich kann man aus einem Weinglas guten Gewissens auch einen Schnaps trinken.

In meiner Arbeit geht es mir nicht darum, sinnvolle, zweckmäßige oder ästhetische Objekte zu generieren. Ich sehe das Ganze als Experiment an und möchte dem Betrachter keine vorgefertigte Deutung der Arbeit, beziehungsweise der Objekte liefern. Möglicherweise ist durch die Kreuzung zweier funktionaler Trinkgläser eine Glas-Skulptur entstanden, vielleicht ist es immer noch ein Trinkglas.

Man kann übrigens auch eine Salami mit einer Mortadella kreuzen und auch das Mercedes-Benz Logo mit dem Deutsche Bank Logo. Das ist zwar albern, macht aber Spass.

Details

Entstehungsjahr

2012

Prototyp

weitere Angaben

Die Kollektion der Gläser (Prototypen) besteht aus acht Objekten mit den Maßen von H: 14 cm bis H: 24 cm. Die Gläser wurden nach Vorgabe (Skizze mit Bemaßung) von einer Glasbläserin hergestellt. Bei dem verwendeten Material handelt sich um etwas dickeres Laborglas. Handelsübliche Trinkgläser werden in der Regel aus dünnerem Glas produziert.

initiiert von

Beteiligte

Schlagwörter

1 Kommentar

1 Jan Aulbach, 18.12.2012, 14:05

Wunderbares Projekt, als es bei uns bei DARUM (dem unabängigen Magazin der Hochschule Darmstadt) eingeschickt wurde waren wir ziemlich baff.

Es ist in sich geschlossen und zeigt so viel mehr als das Ergebnis, es zeigt wie selbst definierte Methodik den Gestaltungsprozess befreien kann anstatt ihn einzuengen.

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